Ein Mädchen aus Torusk
gelandet, hatte ein Protokoll unterschrieben, war amtlich in Deutschland wieder registriert. Das Weitere war Sache der Bremer Polizei und des Verfassungsschutzamtes in Köln.
»Und da ist sie … Anuschka …«, sagte Fernholz leise.
Sie starrten auf das Mädchen an der Seite Martins, auf diese unwirkliche Schönheit eines Menschen aus der Tiefe Sibiriens. Heinz Fernholz stand da mit hängenden Armen und halboffenem Mund. Rechtsanwalt Petermann stieß ihn in die Rippen.
»Ich habe gewonnen. Eine Kiste Sekt! Wir sind sprachlos.«
Dann warfen sie die Arme empor, brüllten: »Martin! Martin!«, liefen zum Ausgang und fuchtelten wie die Wahnsinnigen durch die Luft. Abels lachte ihnen zu, winkte, deutete auf sein auf einem Fließband heranschwimmendes Gepäck und wurde ohne Kofferkontrolle durchgelassen.
Wie drei Geschosse rasten die drei Männer aufeinander zu, prallten zusammen und umarmten sich. Es war sekundenlang ein Gewühl von Armen, von Schulterklopfen und lauten, unartikulierten Rufen. Fernholz, der eisenharte Metzgermeister, heulte plötzlich, Petermann rief immer wieder: »Mensch! Alter Junge! An dir ist ja noch alles dran! Junge! Junge!« Und dann brüllte man sich wieder an vor Freude … man benahm sich also so, wie sich Männer benehmen in freundschaftlichem Glückstaumel.
Anuschka stand währenddessen abseits neben den Koffern und lächelte stumm. Tränen standen ihr in den Augen. Er hat gute Freunde, dachte sie. Das ist viel wert. Wie sagt man bei uns: Ein guter Freund ersetzt die halbe Welt. Tinja und ich werden nicht ganz allein sein, und das ist gut so. Ich liebe Tinja über alles – aber was gibt es Stärkeres als das Heimweh?
»Das ist Anuschka!« sagte Abels nach dem Begrüßungsgeschrei. Er nahm ihre Hand und führte sie zu Petermann und Fernholz. »Und das, Anuschka, sind meine Freunde. Sie gehen für mich in die Hölle wie Unjeski für Turganow.«
»Das ist schönnn!« sagte Anuschka leise und reichte ihre schmale Hand hin. Ihre schwarzen schrägen Augen leuchteten wie von einer inneren Sonne bestrahlt. »Sei auch gutter Freund für mich.«
Petermann und Fernholz verbeugten sich. Ihr Herz machte einen heißen Hüpfer. Welche Frau, dachten sie in einem Atem. O Himmel, welche Frau! Wahrhaftig, Martin Abels, für sie wären wir auch nach Sibirien gefahren, wenn wir nicht solche Feiglinge wären.
»Sie sind das Herrlichste, gnädige Frau, was Gott erschaffen hat«, sagte Petermann und küßte Anuschkas Hand.
Und Fernholz stammelte: »Verdammt noch mal … ich habe einfach keine Worte. Ich bin weg.« Und er drückte Anuschka die Hand mit einer so zärtlichen Bewegung, als streichle er eine Porzellanfigur.
»Was sagen sie, Tinja?« fragte Anuschka und sah zu Abels empor. Martin lachte und legte den Arm um ihre Schulter.
»Das ist schwer zu erklären, mein Täubchen. In Torusk würde man sagen: Brüderchen hat eine heiße Kartoffel im Mund!«
Das helle Lachen Anuschkas floß über Petermann und Fernholz wie ein güldener Regen. Sie waren mit Martin Abels glücklich.
Nach zwei Stunden Autobahnfahrt erreichten sie den Vorort Bremens, in dem die Villa Martins lag. Die Einfahrt war weit offen, auf der Treppe standen zwei Hausmädchen und vor ihnen, korrekt wie immer, in schwarzer Hose und gestreiftem Jackett, der Diener Alfons.
Er kam die Treppe herunter, als Abels und Anuschka ausgestiegen waren, würdevoll, mit der Majestät, wie im Theater die Helden große Treppen hinabschreiten. Seine weißen Handschuhe leuchteten in der Sonne. Vor Abels blieb er stehen, verbeugte sich, öffnete den Mund und wollte Begrüßungsworte sprechen. In diesem Moment aber verließ ihn die Haltung, es war, als klappe er zusammen, der Kopf fiel nach vorn auf den weißen gestärkten Kragen mit der schwarzen Fliege, die Lippen formten unverständliche Worte, Zuckungen liefen über das glatte Gesicht und wallten über die Schulter weiter.
Der Diener Alfons weinte.
»Gutter Mensch!« sagte Anuschka leise, trat auf ihn zu und strich ihm über die Haare. Für den Diener Alfons war es der glücklichste Tag seines Lebens.
Es war gut, daß sie allein waren, unter sich … schon in dieser Stunde wäre Anuschka sonst in der Bremer Gesellschaft boykottiert worden.
Welche Dame streicht ihrem Diener über die Haare?
Unmöglich allein der Gedanke!
Es ist die Pflicht eines Dieners, sich zu freuen –
*
Der Hausball am Samstag galt als die geheime Sensation der Stadt. Nachdem die Presse seitenlange Berichte über Martin
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