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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Samowar?« Anuschkas Augen bekamen einen feurigen Glanz.
    »Nee, leider nicht. Tee aus Aufgußbeutel.« Dr. Faßler lachte über seine Schlagfertigkeit. Man ist doch noch ein toller Knabe, dachte er befriedigt. Dreißig Jahre Ehe haben einen noch nicht vergreist. Man ist noch voller jugendlichem Elan, wenn man nur das richtige Angriffsobjekt vor sich hat. »Ich kenne hier ein sehr intimes Lokal. Es wird Ihnen gefallen, Gnädigste.«
    So war es. Harmlos, mit zwei Tassen Tee, mit etwas Geplauder, mit Komplimenten und einem Handkuß zum Abschied, als Dr. Faßler Anuschka wieder am Modesalon ablieferte. Es war die harmloseste Sache von der Welt.
    Zurückgekehrt nach Bremen, hielt Dr. Faßler allerdings im trauten Männerkreis die Hand vor den Mund, zwinkerte vieldeutig mit den Augen und sagte in fetter Zufriedenheit: »Diese Anuschka, Freunde, das ist eine Klassefrau! Na, ich sage euch … Nee, ich sage nichts! Der Kavalier … na ja, ihr wißt!«
    Es blieb nicht aus, daß über unbekannte Kanäle auch Frau Dr. Faßler davon erfuhr. Wahre Freundschaften zeigen sich erst in der Wiedergabe von Klatsch.
    Unter den Frauen der Gesellschaft explodierte die Bombe sittlicher Entrüstung. Frau Dr. Faßler schwamm in Tränen dahin und rief immer wieder: »Diese sibirische Dirne! Dieses russische Weibsstück! Mit meinem Mann hat sie angefangen! Ich sage Ihnen – Roland war der erste. Auch Ihre Männer kommen noch dran! Sie läßt keine Ruhe, bis sie uns alle verseucht hat. Das ist bolschewistische Art. Aushöhlung von innen. Dieses Miststück! Ich finde keine Worte mehr. Eine Hure ist sie, jawohl!« Dann wurde sie ohnmächtig, wurde mit Riechwasser wieder mobil gemacht, auf einen Sessel gesetzt und so lange bedauert, bis sie wieder einen Herzanfall bekam vor niederdrückendem Selbstmitleid.
    Unterdessen lag Inken im Streckverband. Professor Hollenbach war mit der Operation zufrieden. »Wir haben für das Gelingen des Experimentes einen großen Helfer«, sagte er zuversichtlich. »Die Jugend.«
    »Und die Geduld«, fügte Abels hinzu.
    Inken nickte. Der Schmerz in dem künstlich gebrochenen und nun gestreckten Knochen war kaum erträglich; aber sie biß die Zähne zusammen und lächelte sogar, wenn auch verzerrt, als sich Anuschka und Martin verabschiedeten und versprachen, in einer Woche wiederzukommen.
    Diener Alfons, der in Bremen geblieben war, empfing seine Herrschaften mit ernster Miene. Auch er hatte gehört, was man in Bremen flüsterte. Unbekannte Münder sorgten dafür, daß es von Haus zu Haus zog, wie ein geruchloses Gas, das die Herzen vergiftet. Er übergab Martin zwei Briefe, die ohne Absender waren und auf denen ›Privat‹ stand.
    »Zwei verschiedene Jungen haben sie gebracht«, erläuterte er, als Abels die Kuverts erstaunt in den Fingern drehte. Und da er ahnte, was die Briefe enthielten, fügte er hinzu: »Ich würde sie ungelesen wegwerfen.«
    Martin schüttelte den Kopf. Es war eine Reaktion, wie sie bei ihm nicht anders zu erwarten war. Er riß den ersten Brief auf. Er enthielt nur ein paar Worte.
    »Anuschka ist eine Hure. Passen Sie auf!«
    Und der zweite Brief:
    »Seien Sie nicht blind. Deutschland ist nicht Sibirien. Wo dieses Weibsbild Anuschka herkommt, mag freie Liebe erlaubt sein. Hier aber schlagen wir sie eher tot!«
    Abels faltete die Briefe zusammen und steckte sie in die Rocktasche. Sein Gesicht war eisig. Anuschka sah ihn fragend an.
    »Böse Nachrichten, Tinja?«
    »Nein. Mein Anwalt bittet mich, gleich zu ihm zu kommen. Wegen eines Vertrages, Kleines. Ich fahre gleich. Aber vorher bade ich noch. Zum Abendessen bin ich wieder da.«
    Er lief die Treppe hinauf, ohne sich weiter um Anuschka zu kümmern. Sie sah ihm nach, nahm ihren kleinen Koffer und stieg hinter Martin in die oberen Räume.
    Es ist etwas anderes, grübelte sie. Ihr Gespür für Gefahr überfiel sie wieder. Diese Briefe waren böse. Sein Gesicht wurde wie erstarrt. So hat er nur einmal ausgesehen in seinem Leben … damals, als er Nikolka Ippolitowitsch Litowka, dem ›Roten‹, gegenüberstand und sein oder des ›Roten‹ Leben beendet werden mußte.
    Im Badezimmer hörte sie Martin unter der Brause. Wie ein Wiesel schlich sie in den Ankleideraum, suchte in dem hingeworfenen Rock, zog die Briefe heraus und las sie. Ihr Schuldeutsch war gering, aber sie begriff, daß es eine Warnung war, eine Warnung vor Anuschka. Vor allem das Wort Hure kannte sie nicht … sie prägte es sich ein, sah es immer wieder an und buchstabierte es,

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