Ein Mädchen aus Torusk
als Baron von Plessneck noch einmal zu Holgerson zurückging.
»Holgerson, unter uns – was halten Sie davon, wenn ich die Abels' nach ihrer Rückkehr aus Köln offiziell einlade?« fragte er leise. Holgerson hob die Schultern.
»Ich kann Ihnen da keinen Rat geben, Baron. Das müssen Sie allein wissen. Es ist Ihr Haus und es ist Ihr Sekt, den man trinken wird. Wenn Sie sich überwinden können, einem jakutischen Jägermädchen die Hand zu küssen …« Dicker Spott lag in Holgersons Stimme. Der Baron verstand und lächelte etwas schief.
»Sie wissen doch, Holgerson … die Frauen … und gerade meine Frau …«
»Dann überwinden Sie Ihre Frau, Baron. Ihre Vorfahren waren Ritter, die sogar einen Kreuzzug mitgemacht haben, um das Heilige Grab zu befreien. Es ist eigentlich schändlich, daß die Nachkommen die Fahne streichen vor der Hysterie ihrer Frauen.«
Baron von Plessneck nickte. »Ich lade sie ein, Holgerson!« sagte er hart. »Allerdings werde ich dreißig Jahre Schwäche mit einem Paukenschlag auslöschen müssen. Drücken Sie mir beide Daumen.«
»Und die großen Zehen dazu!« rief Holgerson lachend. Und er winkte fröhlich dem Wagen nach, als er die Auffahrt der Holgerson-Villa hinunterfuhr zur Straße.
Baron von Plessneck ist der Pegel der Gesellschaft, dachte er. Wenn seine Gunst für jemanden hoch steht, werden sie alle mitziehen. Der biblische Schrei: »Gebt Barabbas frei!« und »Kreuzige ihn!« ist noch nicht gestorben. Das von Gunst und Demagogie abhängige Hirn des Volkes hat sich in zweitausend Jahren noch nicht geändert … und wird sich auch nie ändern. Zufrieden ging Holgerson zurück in seine Villa und trank allein noch ein Glas Portwein.
Der Weg für Anuschka war frei.
Der ›Westen‹ hatte sie gnädig aufgenommen.
Und Holgerson sagte laut, was er seit langem dachte: »Es ist zum Kotzen mit uns.«
Der Diener, der die Gläser wegräumte, zog die Augenbrauen hoch. Er kam aus England von einer Butlerschule und trug während des Dienstes nur weiße Handschuhe.
Das Wort Kotzen tat ihm körperlich weh.
Er trug deshalb auch die Gläser mit hochmütiger Miene an Holgerson vorbei aus dem Zimmer, als sei er persönlich beleidigt worden.
*
Drei Wochen später fand im engsten Kreise die deutsche Hochzeit von Martin und Anuschka statt.
In diesen drei Wochen war viel geschehen. Es begann damit, daß in der Kölner Klinik neben den Blumen für Inken nun auch Blumen für Anuschka abgegeben wurden. Den Reigen eröffnete Baron von Plessneck mit einer den Rosen beiliegenden Karte, auf der er seine Hochachtung für die Opferbereitschaft aussprach. Abels las ein paarmal diesen Schrieb durch, übersetzte ihn Anuschka ins Russische und schüttelte den Kopf.
»Jetzt werden sie alle verrückt, paß mal auf. Es fehlt nur noch, daß sie mit Palmwedeln fächeln. Ich werde in deinem Namen beim Baron anrufen und mich bedanken.«
In der zweiten Woche, als es Inken so gut ging, daß sie Besuche empfangen durfte, kamen die Wagen aus Bremen heran, als handle es sich um eine private Rallye. Fast schien es, als sei Anuschka wichtiger als Inken, der die Besuche ja galten. Mit einem stillen Lächeln beobachtete Inken, wie die Herren Anuschka umstanden und sich darum drängten, von ihr persönlich angesprochen zu werden. »Wie ein Haufen Hähne, die ein einsames Huhn umflattern«, sagte sie einmal. Dann lachten sie und blinzelten sich zu. Sie waren Freundinnen geworden, ja mehr noch: es war, als sei mit dem Eintritt Anuschkas in das Leben Inkens ein völlig anderer Rhythmus und ein wirklicher Sinn gekommen. Eine große Aussprache war dem vorausgegangen – es waren die ersten längeren Sätze, die Inken sprach, als sie kräftig genug war und der Dauertropf, an dem sie hing, abgesetzt werden konnte.
»Ich habe dich gehaßt, Anuschka«, sagte sie langsam. »Ich hätte dich umbringen können – weißt du das?«
»Ja.« Anuschka nickte ernst. »Ich hätte es nicht anders getan.« Sie lächelte verzeihend, denn sie hatte russisch gesprochen. »Isch dich auch umbringen«, sagte sie deutsch. »Isch tun für Tinja alles.«
»Und dabei bist du ein Engel.«
»Nix Angel. Isch ganz dummes Mädchen.«
»Warum tust du das alles, Anuschka?«
»Für Tinja. Er froh, wenn du gesund.«
»Und du hast keine Angst, daß ich ihn dir wegnehme?«
»Nein.« Anuschka lächelte still. »Tinja liebt nur mich.«
Inken schloß die Augen. Ist es schon ein Jahr her, dachte sie, daß ich erkannte, wie unerreichbar Martin für mich
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