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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dorfsowjet, machte fast vor Angst in die Hose, denn ahnungslos trat er aus seinem Schuppen und sah in zwei grüne schillernde Tigeraugen. Diese Aufregung. Hauptmann Samsonow schrie nach seiner Maschinenpistole. Erlegt hatte den Tiger dann Unjeski, der Schlaukopf, denn er sparte somit den Ankauf des Felles von einem Dritten.
    Martin küßte Anuschka auf die Augen. Sie blinzelte und sah ihn lächelnd an.
    »Woran denkst du, Frau Abels?« fragte er leise.
    »Woran du auch denkst, Tinja.«
    »An Torusk –«
    »An Torusk, Tinja –«
    »… und so stoßen wir an auf das glückliche Paar, das wohl das schönste ist, das ich je gesehen habe«, vollendete Holgerson seinen Toast und hob das Sektglas. Martin und Anuschka schraken auf und lächelten um Verzeihung bittend in die Runde. Was Holgerson vorher sagte, hatten sie in ihrer Versunkenheit nicht gehört. Es ist weit von Torusk nach Bremen.
    Am Nachmittag fuhren sie hinaus zu dem einsamen Moorhof zwischen Wacholderbüschen und Birken.
    »Wie schön, Tinja!« jubelte Anuschka, als sie durch den Stall ging. »Laß uns hier bleiben … laß uns immer hier leben! Hier werde ich wie zu Hause sein …«
    Und sie nahm das Sattelzeug vom Haken, schleppte es in eine der Boxen und begann ein Pferd zu satteln.
    Abels blieb im Gang des Stalles stehen. Er hörte, wie Anuschka mit dem Pferd sprach … russisch, mit zärtlicher, singender Stimme. Es war, als sänge sie dem Pferd ein uraltes Lied ins Ohr.
    Wie ein Pfeil, so flieg dahin, um die Wette mit dem Wind,
heij, mein Pferdchen, heij,
schneller als die Wolken –
    Martin Abels wischte sich über die Augen.
    ›Bin ich ein glücklicher Mensch?‹, dachte er mit pochendem Herzen. ›Ja, ich bin es! Ich bin ein wirklich glücklicher Mensch.‹
    *
    In diesen Tagen des Glücks und der Ruhe stand in den Zeitungen eine kleine Meldung, die niemand sonderlich interessierte und die nur Martin Abels mit tiefer Nachdenklichkeit las. Anuschka erzählte er nichts davon. Es war die Meldung:
    »Gestern wurde bei dem Versuch, in das Büro einer amerikanischen Atomraketeneinheit einzubrechen, eine Frau von den Wachen erschossen. Sie trug einen Paß auf den Namen Jeanette Perkins. Wie sich später herausstellte, war es die amerikanische Staatsbürgerin Betty Cormick, die als sowjetische Agentin Spionage für die UdSSR trieb.«
    Martin Abels legte die Zeitung weg und sah hinaus über das stille, weite Moor- und Heideland. Betty Cormick, dachte er. Ein Leben ohne Liebe und Sinn war beendet. Erst hatte sie ihr Leben für ihre kranke Mutter eingesetzt, und man hatte sie verraten. Dann legte sie alles in die Waagschale des Schicksals, um ihren Geliebten Tasskan zu retten – und wieder wurde sie betrogen, denn Tasskan lebte schon nicht mehr, als man sie an der Küste Kaliforniens absetzte. Ihr ganzes Leben lang war sie eine Gehetzte. Sie irrte herum, um sich damit die Ruhe zu erkaufen. Nun lag sie in einem Leichenschauhaus und würde irgendwo in einer Ecke begraben werden.
    Angehörige – keine, schrieb man auf den Totenschein.
    Ein einsamer Mensch ging vollends auf in der Einsamkeit.
    Der einzige, der noch Anteil nahm an dieser Meldung, war Dr. Petermann. Er rief am Abend Martin an.
    »Hast du gelesen?« fragte er.
    »Ja. Schrecklich.«
    »Ich habe sechs Stunden gebraucht, um zu erfahren, wo Betty liegt. Über die Botschaft in Mehlem und andere Bekannte dort weiß ich es jetzt. Betty wird in St. John in Kansas beerdigt.«
    »Lasse einen Kranz abgeben, Ludwig«, sagte Martin Abels leise. »Mit einer Schleife und der Aufschrift: ›Nun hast du Ruhe gefunden, Betty.‹ Geht das?«
    »Ich glaube ja.«
    Im Nebenzimmer wartete Anuschka am Tisch mit dem Abendessen. Es gab Milchsuppe und Eierkuchen mit Spargel. In Torusk aßen sie statt Spargel kleingehackte Hasenleber.
    »Wer rief an, Tinja?« fragte Anuschka, als Abels ins Zimmer trat.
    »Petermann. Geschäftlich.« Er setzte sich und streichelte Anuschkas Hand. »Ich habe mir überlegt«, sagte er, »daß unser Leben wirklich gesegnet ist.«
    *
    Am 10. November wurde Anuschka in die Klinik gebracht.
    Die große Stunde stand bevor.
    Diesmal begleitete Inken Holgerson sie. Martin war nicht in Bremen, er verhandelte in München mit Schweizer und italienischen Exporteuren. Da es schwierige Verhandlungen waren, hatte er keinen seiner Direktoren schicken können, sondern mußte selbst nach München fahren. Anuschka hatte ihn beruhigt mit der Behauptung, das Kind könne nicht so plötzlich kommen.
    In der Nacht

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