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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wollte endlich sein Salz holen, ehe der Winter begann.
    Denn Schnee lag in der Luft. Die Sonne war blaß und trüb; man konnte sie ansehen, ohne geblendet zu werden. Und das ist immer ein schlechtes Zeichen. Der Winter kommt schneller als ein Kind, besagt eine alte mongolische Weisheit.
    *
    Zwei Tage später schneite es.
    Martin Abels wurde von einem Schneewind zurückgedrückt, als er am Morgen aus der Scheune kriechen wollte, in der er übernachtet hatte. Den Sumpf hatte er überwunden, die russische Grenze lag hinter ihm, er war bis zu der kleinen Stadt Nauschki gekommen, die die erste Stadt auf russischem Gebiet war.
    Nun fegte der Schneesturm über das gebirgige Land und zwang die Menschen, sich auf Monate der Kälte und des Abgeschlossenseins vorzubereiten. Die Welt bestand nur noch aus wirbelnden weißen Flocken, sie waren dick wie Fingernägel und fielen so dicht, daß es wie ein Vorhang aussah, der sich über das Land senkte.
    Martin Abels packte seine Sachen zusammen und wickelte zum erstenmal nach acht Jahren wieder Säcke um die Füße. Trotz der mongolischen Hosen und gefütterten Stiefel drang die Kälte an den Fuß und umklammerte die Zehen. Er kannte das und hatte in Sibirien gelernt, daß Lumpen und Säcke besser wärmten als das schönste gefütterte Leder.
    Solange es schneite, störte ihn niemand. Er wanderte an einer Bahnlinie entlang und sah auf der Karte, daß es eine Kleinbahn war, die Nauschki mit Selenduma verband. Dort aber stieß er an die große Bahnlinie nach Ulan-Ude und Irkutsk, den Weg ins Innere Sibiriens.
    Er zog etwa drei Stunden durch den pappigen Schnee, immer seitlich der schmalen Gleise, die sich durch Schluchten und einsamste Berge wanden. Einmal rastete er unter einem Holzstapel und machte ein kleines Feuerchen, über dem er seinen Wasserbeutel auftaute und sich dann in einem Tontopf aus der Küche Chingai-Butus einen herrlich wärmenden Tee kochte. In dem Tee weichte er einige getrocknete Fladen auf und aß den Mehlbrei mit großem Appetit.
    Plötzlich hörte er unregelmäßiges, stotterndes Motorgeräusch und Stimmen. Er zertrat sofort das Feuer, schaufelte mit den Händen Schnee über die glimmende Asche, damit sie nicht qualmte, und drückte sich eng an den Holzstapel.
    Über die Schienen der Kleinbahn fuhr langsam eine Draisine. Vier Rotarmisten saßen darauf, vermummt, die Pelzmützen tief ins Gesicht gezogen. Eine Patrouille!
    Sie fluchten, Abels hörte es deutlich. Der Motor der Draisine schien nicht in Ordnung zu sein, er spuckte und stotterte.
    Martin Abels hielt den Atem an. Immer näher kam das Fahrzeug, und es wurde von Meter zu Meter langsamer. Genau vor Abels' Versteck versagte der Motor endgültig. Die Draisine kam zum Stillstand, die vier Soldaten sprangen mit wilden Flüchen ab.
    Eine Minute lang war Martin Abels wie gelähmt vor Schreck. Er starrte durch die Ritzen des Holzstapels, sah die geröteten Gesichter der Soldaten ganz genau, keine fünf Meter von ihm entfernt. Die Anstrengung, keinen Laut von sich zu geben, verursachte ihm fast körperlichen Schmerz.
    Während zwei der Rotarmisten im Schnee herumstapften, öffneten die beiden anderen die Motorhaube und starrten ratlos darunter. Abels hörte, wie sie miteinander diskutierten. Der Patrouillenführer fragte seinen Untergebenen wütend, ob er, zum Teufel, etwa vergessen habe, genug Benzin in den Tank zu füllen? Der so Verdächtigte schwor, es sei genug Sprit da, bitte schön, der Genosse Unteroffizier könne sich selbst überzeugen.
    »Was, zum Teufel, ist dann los mit dieser Mißgeburt von einem Motor?« schrie der Unteroffizier.
    Martin Abels ballte die Fäuste und biß sich auf die Lippen. Guckt die Zündung nach, ihr Idioten, hämmerte es in seinem Hirn. Er dachte es immer wieder, als könnte er damit die Männer hypnotisieren.
    Statt dessen kamen jetzt die beiden unbeschäftigten Rotarmisten langsam um den Holzstapel herum. Martin Abels kauerte sich noch tiefer in seine Ecke. Er schloß die Augen, um die Gefahr nicht länger sehen zu müssen. Die Kälte kroch in ihm hoch, ein würgender Hustenreiz packte ihn. Nicht husten … dachte er voll wilder Verzweiflung. Nicht husten … nur jetzt nicht … nein … nein …
    Wie lange er so dagehockt hatte, stumm, halb betäubt vor Angst und ohnmächtiger Wut … er wußte es nicht.
    Die Stimmen der Rotarmisten wurden plötzlich leiser. Vorsichtig öffnete Abels wieder die Augen. Er sah durch die Ritzen des Holzhaufens, daß die Soldaten langsam

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