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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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an den Schnüren, biß vor Wut in den Schnee und brüllte fast mit blutrotem Rachen, als Turganow in sicherer Entfernung vor ihm stehenblieb.
    »Welch ein schönes Tierchen!« sagte Pawel Andrejewitsch atemlos. Es kommt selten vor, daß man einen Wolf in der Schlinge fängt, und wer es erzählt, wird als Lügner ausgelacht. Und dann begann ein Schlachten. Der ganze Haß des Menschen gegen die Blutgier eines Wolfes brach in Pawel Andrejewitsch auf wie ein Vulkan. Mit einem dicken Knüppel erschlug er den Wolf. Nicht sofort, sondern in Etappen. Er zerhieb ihm die Hinterläufe, dann die Vorderläufe, darauf lähmte er ihn mit einem Schlag auf das Rückgrat, und das Geheul des Wolfes war ihm wie die schönste Musik; er lachte und jubelte und sang, als er endlich mit einem mächtigen Schlag die Hirnschale zertrümmerte. In einer Blutlache, die ihm aus dem Maul schoß, verendete das Raubtier.
    Stolz hatte Turganow das erzählt, und so grausam es ist, ein Tier so zu töten – sie lobten ihn alle, die ihm zuhörten, denn nichts wird in Sibirien mehr gehaßt als ein Wolf.
    Daran erinnerte sich Martin Abels, als er aus seiner Höhle hinauskroch und sich in der Sonne dehnte. Er riß die Mütze vom Kopf, knöpfte den Mantel auf und lief ein paarmal mit stampfenden Beinen im Kreis herum, um die Steifheit aus seinen Gelenken zu treiben. Dann holte er seinen Sack mit der Verpflegung aus der Höhle, brach von den gefrorenen Fladen kleine Stücke ab, wälzte sie im Munde hin und her, taute sie mit seinem Speichel auf und schluckte dann den Mehlbrei hinunter.
    Als er sich erneut umwandte, blieb er starr sitzen und zog langsam die Hand von dem Verpflegungssack zurück. Seitlich, im Schnee sitzend, hockte eine große, dunkle Gestalt und beobachtete ihn aus kleinen, schwarzen, blinzelnden Augen. Die spitze Schnauze war etwas nach oben gerichtet, die Tatzen mit den langen, gebogenen Krallen lagen auf der Pelzbrust, übereinander, als bete er.
    Martin Abels hatte keinerlei Geräusche gehört, und er hätte den Bären auch nicht bemerkt, wenn er sich nicht umgedreht hätte. Nun aber starrten sie sich an, und es schien, als lächle der Bär über den Menschen.
    Abels sprang auf und zog aus dem Gürtel den mongolischen Dolch von Onkel Churu. Er hatte eine leicht gebogene Klinge, und diese war scharf und spitz. Onkel Churu hatte es bewiesen: Einen Strohhalm hatte er in der Luft durchgeschnitten, als sei er eine Feder.
    Der Bär beobachtete die schnelle Bewegung des Menschen mit Mißfallen. Er brummte dumpf, ließ sich nach vorn auf die Tatzen fallen und kam langsam näher.
    Dann standen sie sich wieder gegenüber, zwei Meter Schnee dazwischen, und sahen sich an. Es waren kalte, erbarmungslose Blicke.
    Du wirst sterben, Bär, dachte Martin Abels. Oder ich werde unter deinen Krallen enden. Dann wird Anuschka vergebens warten, und Jahr um Jahr in der Hütte sitzen und das Bild ansehen, das ich ihr dagelassen habe. Das Bild eines jungen, blonden Mannes; ein kleines, dummes deutsches Paßbild, auf dem wir alle aussehen, als wunderten wir uns darüber, geboren zu sein. Ich weiß – sie hat dieses Bild in einem Rahmen stehen, in einem Holzrahmen, den sie selbst aus Birkenholz geschnitzt hat.
    Anuschka – ob sie überhaupt noch lebt? Ob sie wirklich wartet? Es wird darauf keine Antwort geben, wenn der Bär stärker ist.
    Mit einem dumpfen Grollen, das aus der zotteligen Brust drang, als komme es aus dem Inneren der Erde, richtete sich der Bär wieder auf. Martin Abels wich aus, geduckt umkreiste er den Bären, und der Bär drehte sich mit, wie ein dressierter Tanzbär, der auf den Hintertatzen nach einer unhörbaren Musik sich wiegt.
    Und plötzlich war er da. Er schnellte vor, warf sich dem Menschen entgegen und stieß dabei ein lautes, helles Grölen aus. Abels wich zurück, der Bär richtete sich auf, warf die Tatzen hoch in die kalte Luft. Ein Riese ist er, dachte Abels, und es wurde in ihm so ruhig, als sei er schon gestorben. Der Bär brüllte auf, aber auch Abels schrie, ohne es zu wissen; er mußte einfach brüllen, es entlud sich wie eine Urgewalt. Er holte weit aus, der Dolch blitzte in der Sonne, und dann stieß er zu, mitten in die Brust hinein, die sich ihm entgegenwölbte und sich dehnte im erneuten Brüllen.
    Im gleichen Augenblick fielen die Tatzen auf seine Schultern nieder. Eine Zentnerlast drückte ihn in den Schnee, der Bär rollte über ihn, er spürte Blut über sein Gesicht rinnen und wußte nicht, war es sein Blut oder das

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