Ein Mädchen aus Torusk
Blut des Bären … er spürte, wie der riesige Körper über ihm zuckte und strampelte, wie die Tatzen den Schnee zerhieben und gegen die Felsen kratzten, die Last wurde immer schwerer, drückte ihm den Atem ab und erstickte ihn. Er versuchte sich wegzuwälzen, aber wie eine Felsplatte lag der Bär über ihm, die dreckige, schmierige, stinkende Wolle des Pelzes preßte gegen sein Gesicht.
Anuschka, dachte Abels. O Anuschka, ich habe den Bär getötet … und nun tötet er mich, er besiegt mich noch als Toter. Er erdrückt mich, er erstickt mich, er gräbt mich in den Schnee ein.
Anuschka –
Mit einer letzten Anstrengung versuchte Abels, sich unter dem zentnerschweren toten Körper wegzuwälzen. Es gelang nur halb … er bekam das Gesicht frei, er konnte atmen, er konnte den Mund gegen den Schnee drücken … Luft, o Luft!
Er hörte noch einen Schuß und spürte, wie die Kugel über ihm in den Bärenkörper einschlug. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen. Das letzte, was er, schon im Weggleiten, wahrnahm, waren zwei geflochtene Schneeschuhe, die auf ihn zukamen. Und das letzte, was er dachte, war: Nun ist die Reise zu Ende. Daß jemand den Bären von ihm wegwälzte, hörte er schon nicht mehr.
*
Das Feuer war groß und hatte in einem weiten Umkreis den Schnee geschmolzen. Die über Kreuz aufgeschichteten Balken glühten, warfen die Hitze gegen die sie umringenden Körper und erzeugten eine Halbkugel heißer, flimmernder Luft, die drei Meter über dem Boden wieder von dem Frost aufgesogen wurde.
Martin Abels erwachte und fand sich auf einem Wolfsfell liegend. Die über ihn strömende Wärme war herrlich, er dehnte sich, ohne sich darum zu kümmern, wo er lag. Dann erst, mit der Rückkehr seiner Erinnerung, setzte er sich mit einem Ruck auf und sah sich um.
Neben ihm hockten zwei bärtige Männer und waren schwitzend dabei, die letzten Fleischreste von der Bärenhaut zu kratzen. Sie benutzten dazu einen stählernen Schaber, und wie sie es machten, bewies, daß es Leute vom Fach waren und keine zufälligen Jäger.
»Er ist wieder da, Jurij«, sagte der eine und zeigte mit dem Schaber auf Martin Abels. Der als Jurij Angesprochene drehte den Kopf zu Abels, nickte, grinste und schabte weiter.
»Hunger?« fragte er dabei.
»Nein.« Abels erhob sich von dem Wolfsfell und trat an die beiden Schabenden heran. »Ich danke euch, Genossen … Ihr habt den Bär erschossen.«
»Er war schon tot, Brüderchen.« Jurij wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und über den struppigen graumelierten Bart. »Ein guter Stich, man muß es loben! Genau in das Herz.«
»Das war Glück.«
»Und ein mongolischer Dolch war's. Du kommst von drüben?«
»Ja.«
»Und wohin?«
»Nach Norden.«
Der Jurij Genannte setzte sich seufzend neben das riesige Bärenfell, kramte in den Taschen seines Fellrockes, holte einen alten Lederbeutel heraus und ein Stück Zeitung. Er hielt beides Abels vor die Nase und nickte ihm zu.
»Willst du, Genosse?«
»Wenn ihr was zu trinken hättet …«
»Auch das. Gib ihm die Flasche, Victor.«
Victor, der andere, zog einen Fellsack heran, holte eine Flasche, die mit Bast umwickelt war, hervor und schob sie Abels über den glitschigen, aufgeweichten Boden zu.
»Guter Wodka!« lachte er. »Ist besser als Engelstränen.«
Martin Abels entkorkte die Flasche, tat zwei tiefe Schlucke, hustete und rang nach Atem. Es war der schärfste Alkohol, den er je getrunken hatte. Nicht einmal Pawel Andrejewitsch hatte solch einen Schnaps gehabt, und schon den begleitete die Sage, daß einmal ein Fuchs daran geleckt habe und dann hustend zu den Menschen geflüchtet sei.
»Gut, Brüderchen, was?« Victor schlug mit der Faust auf den Kopf des Bären. Er freute sich wie ein Kind, der einfältige Waldmensch. »Das holt die Maden aus allen Ecken! Heij, noch einen?«
»Danke.« Abels gab, noch immer hustend, die Flasche zurück. Dann setzte er sich mit dem Rücken zum Feuer und sah zu, wie sie das Bärenfell sauberschabten. »Ihr fragt gar nicht«, sagte er nach einer Weile.
»Warum, Brüderchen?« Jurij hob die Schultern. »Wer fragt, wird belogen. Ist's nicht so? Du bist hier, du willst nach Norden, wer will dich hindern, das zu tun? Wir nicht. Wir haben ein Bärenfell, und das bringt viele Rubelchen. Ist's nicht ein guter Tausch, Genosse? Wir das Fell – und dafür fragen wir nicht.« Wieder hielt er den Tabakbeutel und das Stück Zeitung hin. »Willst du jetzt?«
»Ja.« Abels drehte sich eine der dicken
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