Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
russischen Zigaretten aus Zeitungspapier und zündete sie an einem glimmenden Holzstück des Feuers an. Der Tabak schmeckte beißend und doch süßlich. Er hatte eine Beimischung, die Abels nicht kannte. Jurij grinste wieder. Er konnte das vorzüglich. Wenn er grinste, sah er aus wie Väterchen Frost, so wie ihn die Kindermaler immer darstellen.
    »Chinesischer grüner Tee ist dazwischen, Brüderchen«, erklärte er. »Viele mögen es nicht, aber wir! Es geht über die Zunge wie ein Weiberkuß.«
    Man soll über Geschmack nicht streiten, denn wären wir alle gleich, säh's trostlos aus auf der Welt. So nickte denn auch Abels zustimmend und rauchte langsam und vorsichtig, ohne Lungenzüge, die Zigarette zu Ende. Schon nach der Hälfte hatte er das Gefühl, sein Gaumen sei gegerbt, und plötzlich begriff er auch, warum sie diesen gemischten Tabak rauchten. Er verdrängte das Durstgefühl. So unbegreiflich es war, aber es stimmte.
    »Du bist Amerikaner?« fragte Jurij. Es schien, als sei er der Klügere von beiden. Er hatte einen Begriff von Amerika. Victor glotzte nur blöde und reinigte die Klinge seines Schabers.
    »Amerikaner? Nein!« Abels warf den Zigarettenrest weg. Jurij schüttelte mißbilligend den Kopf. Er beugte sich vor, klaubte den Rest auf und steckte ihn in die Felljacke. »Wieso soll ich Amerikaner sein?«
    »Man erzählt sich, daß jemand abgesprungen ist. Aber weiter nördlich. Ein Spion. Ist das eine Aufregung bei den Rotarmisten. Sie bewachen alle Bahnhöfe, die Hohlköpfe! Als ob ein Spion über einen Bahnhof geht, sich an den Schalter stellt und sagt: ›Bitte, eine Fahrkarte nach Moskau, Genossin Kartenverkäuferin. Und einen guten Wagen, mit weichen Polstern, nicht solch einen Dreckstall, wie ihr sie sonst auf den Schienen laufen habt. Ich bin Amerikaner und verwöhnt, mein Täubchen …‹ Aber sie stehen auf den Bahnhöfen rum, mustern jeden wie einen prämiierten Bock, halten einen sogar an und sagen: ›Deinen Ausweis, Genosse.‹« Jurij schüttelte wieder den Kopf. Man sah ihm an: Er liebte das Militär nicht und gönnte ihm eine Niederlage.
    Martin Abels dachte in diesen Augenblicken weiter. Sein Plan war es gewesen, von einem Bahnhof aus nach Norden zu fahren, so weit es ging. Er sah wie ein Russe aus, er sprach wie ein Muschik, er konnte fluchen wie ein Mülltonnenleerer. Nur einen russischen Ausweis hatte er nicht. Es würde also gar keinen anderen Weg geben, dachte er jetzt, als in das Innere Rußlands zu flüchten, wie er früher versucht hatte, aus Rußland hinauszukommen. Vielleicht hörten außerhalb des Grenzgebietes die Kontrollen auf. Weiter im Norden, und erst recht in der Taiga, fragte niemand mehr nach seinen Papieren. Er war einfach da, und wer da ist, bei vierzig Grad Kälte und heulendem Schneesturm, der war gestraft genug und mußte sehen, daß er überlebte. Warum ihn noch belästigen mit Fragen?
    »Ich bin Deutscher«, sagte Martin Abels. Jurij und Victor sahen sich kurz an. Ei, ei, dachten sie. Ein Germanskij. So etwas sieht man selten hier unten. Damals, bei Smolensk, da haben sie geschossen wie die Teufel, und Jurij, der Scharfschütze im 2. Garderegiment von Irkutsk, erinnerte sich noch jetzt an die Magenschmerzen, die er bekommen hatte, als ausgerechnet unter dem riesigen Tannenbaum, in dem er hockte, eine deutsche Feldküche es sich gemütlich machte und der Geruch von köstlicher Gulaschsuppe bis zu ihm hinauf in den Baumwipfel wehte. Zwei Tage hockte Jurij in seinem Nest, rührte sich nicht, machte unter sich, verfluchte alle Deutschen und insbesondere die Köche, und als die Deutschen weiterzogen, war er soweit, daß er unter dem Baum die weggeworfenen Blechdosen ausleckte und vor Wut heulen konnte.
    Mit Victor war das anders. Er war in Gefangenschaft geraten, bei der Kesselschlacht von Wjasma. Zehn Tage lang hatte er im Freien gelegen, dann wurde er vierzehn Tage lang in einem verschlossenen Viehwagen durch die Gegend geschaukelt und sah den Himmel erst wieder auf einem deutschen Bahnhof. Da war er so schlapp, daß man ihn aus dem Wagen tragen mußte, er wurde in ein Bett gelegt, ein Genosse Feldscher pflegte ihn, und erst viel später begriff er, daß er in der Gegend von Heimerzheim im rheinischen Vorgebirge war und gepflegt wurde, damit er später auf den Kohlfeldern arbeiten konnte. Das war eine schöne Arbeit, Genossen! Victor Victorowitsch bekam noch heute glänzende Äuglein, wenn er daran dachte. Die Bauersfrauen waren freundlich, und die

Weitere Kostenlose Bücher