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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vom Leben ausgeschlossen, ich werde die Hölle um mich verbreiten … Und du bist jung, wie ich, du kannst das Leben in seiner ganzen Fülle genießen – warum willst du dich an eine gelähmte Frau fesseln?«
    »Weil ich dich liebe! Ich werde es dir immer sagen, Inki: Weil ich dich liebe!«
    »Überleg es dir, Benno.« Sie schloß die Augen. Müdigkeit überfiel sie plötzlich, eine selige Schwäche, ein Gefühl des Schwebens ergriff sie; es war ihr, als könne sie schwerelos herumgehen, Arme und Beine wieder bewegen in einer Art, wie man eine Feder durch die Luft gleiten läßt.
    Fahrenkrug erhob sich leise vom Bett und beugte sich über Inken Holgerson. Er hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn und legte die Teerosen auf den Nachttisch.
    »Benno –«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen. Ihre Stimme schien wie in Watte gepackt.
    »Ja –«
    »Ich liebe dich auch. Aber wir müssen auseinandergehen, hörst du – wir würden uns gegenseitig aufreiben.«
    Er wollte antworten, aber dann erkannte er, daß sie schon schlief. Auf Zehenspitzen schlich er aus dem Zimmer und traf auf dem Flur die Stationsschwester.
    »Sie schläft«, flüsterte er, als könne seine Stimme sie auch noch auf dem Flur aufwecken.
    »Ich sehe nach ihr. Der Herr Professor läßt Sie bitten, zu ihm zu kommen.« Die Stationsschwester verschwand in der Teeküche, und Fahrenkrug eilte zum Chefzimmer.
    »Na, was ist?« fragte Holgerson sofort, als Benno eintrat. »Was sagt Inken?«
    »Alles klar, Papa«, log Fahrenkrug und gab sich freudig und gelöst. »In vier Wochen steigt die Verlobung. Inken ist mit allem einverstanden –«
    »Brav, mein Junge.« Holgerson atmete auf. Sein sorgenvolles Gesicht glättete sich. »Diese innere Freude wird zur Heilung beitragen, glaube es mir.«
    »Ich weiß es, Papa«, sagte Fahrenkrug und wandte sich ab, um Holgerson nicht in die Augen sehen zu müssen.
    *
    Es zeigte sich wie so oft, daß Glück und Unglück Schwestern sein können.
    Nach vier Wochen – die Verlobung mußte auf Anraten Professor Dahrfelds verschoben werden – stellte sich heraus, daß die Lähmungen nachließen, daß die Wirbel keine lebenswichtigen Nerven abklemmten, daß sich die Funktionen ab der Gürtellinie wieder einstellten. Zwar langsam, zögernd, aber jeden Tag etwas mehr.
    Professor Dahrfeld sah fasziniert auf dieses ›Wunder‹, wie er es offen nannte. »So etwas kommt in hundert Jahren einmal vor«, sagte er etwas übersteigert vor Freude. »Mein lieber Holgerson – ihre Tochter wird nicht gelähmt bleiben! Sollen wir sagen: Sie hat ungeheures Glück gehabt? Oder sollen wir wirklich an ein Wunder glauben?«
    Die anderen Verletzungen, die Professor Dahrfeld zunächst als ›Nebenerscheinungen‹ und Lappalien betrachtet hatte, als eine Routineheilung, wurden plötzlich zum Mittelpunkt.
    Da war eine Oberschenkelfraktur, die man normal gerichtet und stillgelegt hatte. »Kommt alle Tage vor«, hatte Professor Dahrfeld gesagt. »Der Knochen ist leider direkt über dem Knie gebrochen. So etwas hat man nicht gern, aber kein Grund, pessimistisch zu sein.«
    Es wäre auch alles normal verlaufen, wenn Inken Holgerson nicht an sich selbst ein Experiment gemacht hätte. Nachdem die Rückenwirbel so weit geheilt waren, daß sie ein Stützkorsett tragen und sich aufrichten konnte, wollte sie die Zeit überlisten. Ich werde sie alle überraschen, dachte sie. Ich werde die Holgersonsche Energie demonstrieren … ich werde ihnen eines Tages entgegenkommen. Zwar noch am Stock … aber ich werde gehen, Schritt für Schritt.
    Eines Nachts überredete sie eine junge Frau aus dem Nachbarzimmer, als diese einmal kurz bei Inken hereinsah, weil sie noch Licht bemerkte, ihr das Zuggewicht vom Bein zu nehmen. »Ich kann nicht mehr richtig schlafen«, sagte sie klagend. »Nur eine Stunde, dann hängen wir es wieder an.«
    Die junge Frau tat ihr den Gefallen, und fast eine Stunde lang versuchte Inken, aus dem Bett zu kriechen und sich aufzustellen. Immer wieder knickte sie ein, im Knie stachen wahnsinnige Schmerzen, der Rücken zuckte und schien wie elektrisiert zu sein. Nach dieser Stunde lag sie völlig erschöpft im Bett, ließ sich das Zuggewicht wieder anlegen und schlief dann schluchzend ein.
    Die Wirkung war verheerend. Als der Gips abgenommen wurde und Inken das erstemal mit Erlaubnis Professor Dahrfelds aufstehen durfte, spürte sie bei der Belastung des Beines, daß sie den Fuß nicht richtig aufsetzen konnte. Es schmerzte teuflisch. Was aber

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