Ein Mädchen aus Torusk
denkender Kopf mit einem Anhängsel, das man Körper nennt. Und wenn du schon von Spezialkliniken sprichst … ich kenne dich doch, Paps … dann ist es ernst.« Sie sah mit großen Augen zu Professor Dahrfeld, der sich auf das Fußende des Bettes gestützt hatte. »Herr Professor, bleibe ich für immer so hilflos?«
»Nein, Fräulein Inken.«
»Ehrlich?«
»Ja. Sie werden nach einigen Wochen oder Monaten wieder aus dem Bett können, Ihre Arme und Hände gebrauchen können, hinaus in die Welt fahren, teilhaben am schönen Leben …«
»… nur laufen werde ich nie wieder können, nicht wahr?«
Professor Dahrfeld zögerte mit der Antwort, aber dann sah er nicht ein, warum er lügen sollte, wenn Inken Holgerson selbst die Kraft aufbrachte, darüber so klar und unerschütterlich zu sprechen.
»Ja! Laufen werden Sie nie wieder.«
»Herr Professor!« Holgerson sprang auf. »Das war brutal!«
»Ich bin dem Professor so dankbar dafür, Paps!« Inken lächelte, aber man sah, wie schwer es ihr fiel. Für immer gelähmt, dachte sie. Ein Krüppel, der in einem Rollstuhl hin und her gefahren wird, den man auf die Toilette heben und wieder wegnehmen muß, den man ins Bett tragen wird, der nicht einmal an Krücken gehen kann, weil die Beine wirklich nichts anderes mehr sind als am Körper baumelnde Würste.
»Wir werden, sobald du transportfähig bist, in die USA fliegen, nach Rochester, in die Mayo-Klinik. Ich werde die besten Spezialisten der Welt mobilisieren, mein Kleines.« Holgerson beugte sich über das schmale, bleiche Gesicht Inkens und küßte sie auf die Augen. Seine Lippen zitterten dabei. »Nichts ist hoffnungslos. Jeden Tag geschehen neue Wunder in der Medizin.«
Inken nickte wieder mit den Lidern. Ihr Blick wanderte zu Benno Fahrenkrug, der neben dem Bett stand, einen Strauß Teerosen in den Händen. Er machte den Eindruck, als stände er bereits vor einem offenen Sarg und wollte als letzten Gruß seine Blumen niederlegen.
»Armer Benno«, sagte sie leise.
Fahrenkrug drückte das Kinn an den Kragen. Man sah ihm an, wie schwer es ihm wurde, Haltung zu bewahren.
»Wieso arm? Ich bin glücklich, daß es dir so gutgeht, Inki.« Er legte seine Teerosen auf ihre Brust und schob sie dann ein wenig höher, damit sie den süßen Geruch wahrnehmen konnte. Professor Dahrfeld zog Holgerson am Rock und nickte mit dem Kopf zur Tür. Widerwillig folgte ihm der Reeder und wollte protestieren, als Dahrfeld ihn aus dem Zimmer schob und die Tür schloß.
»Jetzt lassen Sie die jungen Leute mal allein«, sagte Professor Dahrfeld, als Holgerson wieder ins Zimmer wollte. »Alles, was wir jetzt zu sagen haben, ist Dummheit. Die beiden haben ihre Probleme, nicht wir. Sie müssen sich mit ihrem ferneren Leben auseinandersetzen; für uns ist das klar, wie es werden wird. Kommen Sie, Herr Holgerson, wir gehen zu mir und trinken noch einen Kognak.«
Benno Fahrenkrug setzte sich neben Inken auf das Bett und ergriff ihre schlaffen Hände. Er streichelte sie und beugte sich dann über ihr Gesicht, küßte sie auf die kalten, blutleeren Lippen und auf die Augen, die plötzlich in Tränen schwammen.
»Es wird alles wieder gut, Inki«, sagte er stockend. »Dein Vater hat recht … jeden Tag geschehen neue medizinische Wunder.«
»Wollen wir darauf warten, Benno?«
»Ja.« Fahrenkrug schob die Rosen etwas zur Seite und streichelte Inkens Haare. »Wir werden hier in der Klinik unsere Verlobung feiern, und wenn es nicht anders geht, heiraten wir oben in der Krankenhauskapelle.«
»Nein!« Es war eine klare Antwort. Fahrenkrug schüttelte den Kopf, aber Inken sprach weiter und ließ ihm zu einer Entgegnung keine Zeit.
»Ich bleibe für immer ein Krüppel, Benno!«
»Aber du bleibst auch immer meine Inki.«
»Ich werde dir eine dauernde Belastung sein. Immer im Rollstuhl, immer hin und her gerollt, immer gefesselt an den Sitz, auf den man mich gerade gehoben hat. Ich werde nicht tanzen können, nicht reiten, nicht Tennis spielen, nicht reisen, nicht mehr mit dir durch die Wälder gehen … ich werde immer nur in einem Rollstuhl sitzen und das Leben an mir vorbeigehen lassen, so wie ein Film vor mir abläuft mit nicht greifbaren Bildern von Schönheit und Freude.«
»Das Leben besteht nicht nur aus Tanzen und Tennisspielen«, sagte Fahrenkrug laut. »Ich liebe dich doch, Inki!«
»Noch! Und morgen und übermorgen … aber in einem Jahr, in zehn Jahren … da werde ich eine ungenießbare, knurrige Frau sein, unzufrieden, verbittert,
Weitere Kostenlose Bücher