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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Professor Dahrfeld und auch Holgerson völlig kopflos machte, war eine unübersehbare Tatsache: Das Bein war kürzer als das nicht gebrochene.
    »Unmöglich!« rief Professor Dahrfeld. »Der Bruch war fabelhaft gerichtet! Ich habe ihn ja eigenhändig unter Röntgenkontrolle eingegipst!«
    Die sofortige Röntgenkontrolle bewies eine nicht mehr reparable Katastrophe: Das gebrochene Bein war kürzer, weil sich der Bruch im Gips verschoben hatte. Es gab nur noch eine Korrekturmöglichkeit – ein neuer, künstlicher Bruch und neues Richten –, aber davor scheute Dahrfeld zurück, denn die Gefahr einer Osteomyelitis mit einer Knochennekrose lag da sehr nahe; es würde sofortige Amputation des Beines bedeuten!
    »Unbegreiflich!« schrie Professor Dahrfeld. »Ich verstehe das nicht!«
    Reeder Holgerson verfluchte das Schicksal. »Ich werde alle Chirurgen der Welt mobilisieren!« schrie er. »Ich werde mich dagegen stemmen! Ich werde Inkens Lebensglück erkaufen, und wenn ich dabei in Konkurs gehe!«
    Professor Dahrfeld hob die Schultern. »Wunder wiederholen sich nicht«, sagte er leise. »Wir sollten mit einem zufrieden sein.«
    *
    Einen Tag nach dem Begräbnis Suskins am Waldrand der Datscha Tasskans fegte ein Schneesturm über das Land und zwang Mensch und Kreatur, sich zu verkriechen und sich vor dieser wilden Natur der eigenen Erbärmlichkeit bewußt zu werden.
    »Das geht jetzt mindestens eine Woche so«, sagte Tasskan. »Und wenn es hart auf hart kommt, schneien wir völlig ein und sind zwei Monate ans Haus gefesselt. Aber was macht's? Wir haben Vorräte genug, können uns zusätzlich etwas zusammenschießen, und Anfim versteht es, Fallen zu stellen. Verhungern werden wir nicht.«
    Trotz des heulenden Schneesturms, der an der Palisade der Datscha Berge von Schnee aufhäufte und die Windseite der Häuser mit Eis überzog, wurde an dem Film weitergedreht. Man kurbelte die Drehbuchseiten herunter, die Innenaufnahmen enthielten, und aus dem Herrenhaus wurde ein zwar primitives, aber doch arbeitsfähiges, Atelier. Vor allem der große Speisesaal diente als Drehhalle. In ihm baute Tasskan einen Salon auf, einen Hoteleingang, eine Kirgisenstube und das Boudoir einer Dirne. Da der Film viel Folklore enthielt, reichten die einfachen Mittel aus, stimmungsvolle und ›echte‹ Bilder einzufangen.
    Amalja und Tasskan boten das Bild eines verliebten Taubenpaares. Sie verbargen ihre Zuneigung nicht mehr vor den anderen, und Amalja bekam diese Liebe gut; sie blühte auf, die Spuren der vergangenen Wochen verwischten sich aus ihrem Gesicht. Sie war eine glückliche Frau, die zum erstenmal in ihrem Leben empfand, daß die Liebe urgewaltig sein konnte wie die unendlichen Wälder der Taiga, jedenfalls sagte sie so etwas.
    Abels glaubte ihr nicht. Für ihn war sicher, daß Betty diese Episode nur aus Verzweiflung durchstand. Daß sie nur ihr Leben retten wollte und es sich bloß einredete, Tasskan, der ihretwegen einen Menschen erschlagen hatte, wirklich zu lieben. Er, Abels, selbst kümmerte sich wenig um die Filmleute, ging vor allem Marfa Umatalskaja aus dem Weg und beschäftigte sich mit dem Abrichten eines Hundes.
    Tasskan hatte ihm einen Wolfshund gegeben, von denen auf der Datscha sechs Stück herumliefen. Es war ein großer, kräftiger Hund mit einer spitzen Schnauze und gewaltigen Fängen, einem dichten Fell und einer breiten, gewölbten Brust.
    »Er ist ein guter Läufer!« sagte Tasskan. »Sehen Sie nur die Läufe und diese Brust. Welch ein Atem wohnt darin! Welche Ausdauer! Und diese Kraft, diese Muskeln! Ich möchte wetten, daß er vor seinen Ahnen, den Wölfen, keine Angst hat und daß er sie besiegt, wenn es zum Kampf käme!«
    Abels dachte weiter. Ein guter Hund ist der beste Gefährte für die Wanderung in den Norden. Er hatte das bei den Turganows gelernt und zugesehen, wie Anuschka die Hunde abrichtete. Im Winter waren sie unersetzlich. Sie fanden die verschneiten Fallen und verbellten sie, sie gruben die Schlingen aus dem Schnee und stöberten das Wild auf, hetzten es durch den Wald und trieben es auf den Jäger zu. Ein Hund kann einem Menschen so das Leben retten. Die Einsamkeit verliert ihren Schrecken und ihre Grausamkeit, wenn ein guter Hund mit dem Menschen geht.
    Und so richtete Abels den großen Wolfshund Akja ab, meistens im Stall, wo er ihm das Anspringen beibrachte, das Apportieren, das Gehorchen auf Pfiff, das Ignorieren von Schüssen, und er machte es so wie der alte Turganow in Torusk.
    Als er spürte,

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