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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Unkompliziertheit, an ihre stille, verströmende Liebe, an ihre Tränen des Glücks, wenn sie sich voneinander lösten, an ihre weiche Hand, die ihn streichelte, an ihre Lippen, die an seinem Ohr flüsterten: »Ich danke dir, Martin. Ich danke dir … daß die Welt so schön ist.« Und dann Marfa, das wilde Tier mit dem Körper einer zerbrechlichen Porzellanpuppe, die drohte, ihn zu töten, wenn er sie nicht nahm. Er schluckte, weil er spürte, wie rauh es ihm im Halse wurde. Er trank sein Glas leer und stellte es auf den Tisch zurück.
    Tasskan beobachtete ihn. Er schien Gedanken lesen zu können.
    »Wann werden Sie weiterziehen, mein Freund?« fragte er.
    Abels sah verwundert und betroffen zugleich auf.
    »Wohin?«
    »Bitte, keine Komödie. Die schreibe und inszeniere ich selbst. Amalja – oder soll ich sie Betty nennen? – hat mir alles erzählt. Bitte, wundern Sie sich nicht. Betty und ich haben etwas entdeckt, was selten geworden ist: Wir lieben uns. Nicht von heute bis morgen, vom Dunkelwerden bis zur Dämmerung, sondern so unmodern wie möglich – mit dem ganzen Herzen. So sehr mit dem Herzen, daß ich meinen Kommunismus verrate. Begreifen Sie nun, wie ernst es ist? Anstatt in treuer Pflichterfüllung dem Vaterland den Fang einer Spionin des Kapitalismus zu melden und anzusehen, wie man sie erschießt, schließe ich sie in meine Arme, schweige und bin sogar glücklich. Ich, der Leninpreisträger Tasskan!« Er stand auf und ging vor Abels mit kleinen Schritten hin und her. »Ich weiß schon wieder, was Sie denken, Nikolai. Ich nenne Sie so, weil ich Ihren wahren Namen nicht kenne. Sie denken jetzt: Welch ein Komödiant. Erst bringt er seinen Schauspieler Suskin um …«
    »Ja, das habe ich gedacht«, sagte Abels ehrlich.
    Tasskan blieb stehen. »Suskin wollte Betty nicht nur als Frau mißhandeln. Er hatte einen Verdacht. Bettys russische Sprache klingt wie Ukrainisch, aber der amerikanische Dialekt ist nicht ganz verschwunden. Ein geübtes Ohr hört es … und Suskin konnte es hören. Er war drei Jahre lang in New York am Theater.« Tasskan hob beide Hände. »Gestehen Sie mir das Recht zu, daß ich Suskin Bettys wegen töten mußte. Es gab keinen Ausweg mehr. Es bleibt zwar ein Mord, aber – wenn Sie so wollen – aus edlen Motiven!« Und plötzlich, wieder sachlich, alle Sentimentalität wegwischend: »Wann wollten Sie weiter, Nikolai Stepanowitsch?«
    »Sobald der Schneesturm vorbei ist.«
    »Das ist in zwei Tagen. Ich habe die Wettermeldungen aus Sibirien gehört. Dort ist schon Ruhe.« Tasskan blieb vor Abels stehen und sah lange auf ihn hinab, stumm, nachdenklich. Dann sagte er: »Nikolai, erlauben Sie mir ein Wort.«
    »Aber bitte, Wassilij Petrowitsch.«
    »Ist es wirklich das Mädchen Anuschka?«
    »Ja.«
    »Kein politischer Auftrag?«
    »Ich schwöre Ihnen, Wassilij Petrowitsch …«
    »Das sagte auch Betty. Aber Sie verstehen, man wird mißtrauisch. Zwei Fremde illegal bei uns, der eine Deutscher, die andere Amerikanerin, davon das Mädchen garantiert eine Agentin … glauben Sie mir, sosehr ich Betty liebe: Ich würde Sie nicht aus meiner Datscha weglassen und würde Sie der Miliz übergeben, wenn ich Ihnen nicht vertrauen würde.« Tasskan winkte mit beiden Händen ab, als Abels aufsprang. »Keine Sorgen, mein Freund. Sie ziehen in zwei Tagen weiter, und wir vergessen, daß wir uns kannten. Übrigens: Betty bleibt hier, wissen Sie das?«
    »Ich ahnte es.«
    »Ihr Vaterland hat sich hundsgemein benommen. Sie soll in Rußland ein neues Vaterland bekommen.« Tasskan legte beide Hände auf die Schultern Abels'. »Ich werde mich Ihnen dankbar erweisen, daß Sie mir Betty brachten und daß Sie mir das Leben retteten vor den Wölfen. Ich werde Sie mit allem versorgen, was Sie für Ihre Wanderung nach Torusk brauchen. Ich werde Ihnen ein Pferd geben und einen Schlitten …«
    Durch Abels zog ein ungeheures Glücksgefühl. Ein Pferd. Ein Schlitten. Das bedeutete, daß er nicht mehr zweitausend Kilometer zu laufen brauchte, zweitausend Kilometer auf Skiern, durch Wälder und Gebirge, zweimal die Strecke Hamburg bis Königsberg, allein durch ausgestorbenes Land, in dem ein Mensch so selten war wie Gnade bei den Wölfen. Ein Pferd und ein Schlitten – das bedeutete den Sieg über die sibirische Weite.
    »Wie … wie soll ich Ihnen danken, Wassilij Petrowitsch«, sagte Abels stockend.
    »Indem Sie mich vergessen, Nikolai Stepanowitsch.« Tasskan setzte sich und starrte vor sich auf den mongolischen

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