Ein Mädchen aus Torusk
Kamelhaarteppich, der den Boden der Bibliothek bedeckte. »An Ihnen habe ich einen Schwur verraten, wissen Sie das?« sagte er leise.
»Nein.«
»Ich hatte geschworen, zwei Dinge im Leben zu hassen: die Unfreiheit – und die Deutschen.« Er wischte sich über die Augen. »Mein Vater fiel in den Pripjetsümpfen, meine Mutter wurde auf der Landstraße zwischen Kursk und Dmitrijew als angebliche Partisanin erschossen. Mein Bruder starb in einem Gefangenenlager in Deutschland an Entkräftung. Meine Schwester ist verschollen, bis heute. Es kann mir keiner übelnehmen, wenn ich die Deutschen nicht liebe.« Er sah zu Abels, der vor ihm stand, mit bleichem, verzerrtem Gesicht. »Aber Sie haben mir das Leben gerettet und Betty gebracht … damit haben Sie meine Schwachheit Ihnen gegenüber aufgewogen.«
Es klopfte. Bevor Tasskan eine Antwort geben konnte, sprang die Tür auf. Marfa Umatalskaja kam in die Bibliothek, angezogen, in einem wollenen Kostüm, mit ordentlichen Haaren, rehhaft im Gang wie immer, mit einem Lächeln um die Lippen, lebensfroh und unbefangen. Nur die Schatten um die Augen verrieten die Glut der vergangenen Stunde. Sie nickte Abels zu, als sei nichts geschehen, setzte sich neben Tasskan in einen der Ledersessel, schlug die schönen Beine übereinander und suchte auf dem Tisch nach der Zigarettendose.
Tasskan blinzelte Abels zu.
»Mein Täubchen«, sagte er und bot ihr eine seiner süßlichen chinesischen Zigaretten an. »Ausgetobt?«
Marfa fand diese Frage weder frivol noch unpassend. Sie lachte, warf den Kopf in den Nacken und sah dabei Abels an.
»Er hat es dir erzählt?« lachte sie.
»Er machte sich Sorgen, der arme Nikolai Stepanowitsch. Er rief mich um Hilfe. Denk dir, er hatte den Eindruck, daß man dir anders helfen könne als durch einen Mann.« Tasskan tätschelte ihre Hand, als sie die Zigarette aus dem Etui nahm. »Wer war denn dran?«
»Wer sonst? Wassja …«
»Der Arme!« Tasskan wandte sich zu Abels. »Sagte ich es nicht? Der Junge ist eine tragische Gestalt. Nun hat er wieder Bauchschmerzen und läuft wie ein bleicher, unreifer Käse herum. Was gäbe ich darum, wenn die Natur den Neumond überschlagen könnte.«
Wortlos, angewidert, mit Ekel in der Kehle, verließ Abels die Bibliothek und ging auf sein Zimmer. Das Bett war noch zerwühlt, der Geruch Marfas lag noch im Raum. Da riß er das Fenster auf und ließ den Eissturm durch das Zimmer heulen. Vor dem Bett lag wieder Akja, der Wolfshund. Seine grünen Augen waren halb geschlossen. Aber er beobachtete seinen Herrn, und es war sogar, als verstehe er ihn.
*
Wie es die Wetterwarten gemeldet hatten, ließ der Schneesturm wirklich nach zwei Tagen nach. Das ist etwas Seltenes, nicht daß der Sturm nachläßt, sondern daß eine Wetterwarte etwas richtig voraussagt. Tasskan lobte die Meteorologen, berief eine Drehbuchbesprechung ein und richtete alles auf eine Fortsetzung der Außenaufnahmen aus. Man wollte einige herrliche Waldszenen drehen, vor allem eine Szene mit Marfa, wie sie sich laut Drehbuch mit ihrem Geliebten im Schlitten verirrt und zwei Nächte in den Wäldern bleibt. Eine Liebesinsel in der Urnatur. Großaufnahme: Marfa mit ihrem Liebhaber in inniger Umarmung unter einer Felldecke. Nicht nur das Wetter war günstig, auch die Vorbedingung für eine intensive Liebesszene war gegeben: Marfas Neumond-Koller. »Ein Idealfall!« jubelte Tasskan. »Brüderchen, bei diesen Aufnahmen schmilzt uns das Zelluloid im Kurbelkasten!«
Am dritten Tag brach Martin Abels nach Norden auf. Tasskan hatte sein Wort gehalten. Der Knecht Anfim hielt alles bereit, was eben nur denkbar war: ein Pferd, einen Schlitten, vier dicke Decken, einen Wolfspelz, ein Gewehr mit 300 Schuß Munition, eine Pistole, zwei lange Messer, eine Säge, ein Beil, zwei Thermosflaschen für je zwei Liter, Schinken, Hartwurst, Salzfleisch, getrocknete Kartoffelscheiben, Hirse, Mehl, Salz, Grieß, Sonnenblumenöl, Büchsen mit Sojabohnen in Tomatensoße, Fisch in Remoulade, Trockenfisch, Brot, Maismehl, getrockneten Weißkohl, Graupen, eine Büchse Honig, Zucker, Schmalzfleisch, gepreßten Harttee, grüne Erbsen, Bohnen, Sago, Nudeln, Puddingpulver, Trockenmilch … drei große Säcke, prallvoll, wurden auf den Schlitten geladen und in die Decken eingewickelt.
Tasskan hatte sich nicht verabschiedet, und er gab Abels auch keine Gelegenheit, ihm zu danken. Er war mit seinem Aufnahmestab südlich in die Wälder gezogen, um die Außenaufnahmen zu machen. Nur Amalja
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