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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kumtgeschirren glitten sie über den Schnee, und die Männer in den Decken und Fellen sangen und waren voller Wodkalaune.
    »Steig ein, Brüderchen!« schrien sie, als sie neben Abels hielten. »Nimm ein Schlückchen. Heute ist ein Feiertag. Sieh einmal nach hinten, in den Schlitten von Illarion! Na, was siehst du, Brüderchen? Ha, da staunst du, da bleibt dein Maul offen stehen, da wackelt dir die Hose vor Begeisterung. Komm, trink einen mit und steig ein mit deinem Köter!«
    Martin Abels kletterte in den Schlitten und nahm einen langen Zug aus der Flasche. Im Schlitten lagen drei wunderschöne Tigerfelle, weißgrundig fast mit dicken schwarzen Streifen. Eistiger, wie sie der Sibiriake nennt, wertvolle Felle, die einen hohen Preis erzielten. Da soll man nicht lustig sein, Genossen! Prost, ihr Lieben! Der Wodka ist ein guter Freund. Der beste, er verjagt den Winter.
    So blieb das Glück dem einsamen Wanderer Nikolai Stepanowitsch Arkadjef treu. Diese Schlittenkolonne war auf dem Wege nach Taragaisk, jawohl, zu jenem Taragaisk, in dem der mächtige Victor Pawlowitsch Unjeski regierte, der größte Fellhändler zwischen Eismeer und mongolischer Steppe. Zwar war auch er nur ein staatlicher Aufkäufer, so wie alles dem Staat gehört, was mit Geschäften zusammenhängt, aber er ließ es nie fühlen wie andere Gauner, die mit politischen Reden drohten und an das Vaterlandsgefühl appellierten und selbst die so herausgeschlagenen Rubelchen einsteckten. Er war immer väterlich und ein guter Freund der Jäger. Er zahlte gute Preise. Er hatte Ahnung von den vorgelegten Fellen und feilschte nicht herum wie ein Orientale. Nein, er sagte: »Genosse, dafür kriegst du zehn Rubel!« Und das war ein Wort. Wer dagegen opponierte, flog aus dem Magazin. Aber bisher hatte noch niemand die Redlichkeit Victor Pawlowitschs angezweifelt, denn in seinem Magazin gab es den besten Wodka, direkt aus der staatlichen Brennerei von Moskau. Und wer davon vier Gläschen getrunken hat, gibt Unjeski immer recht.
    Martin Abels brauchte eine Zeitlang, um sein unverschämtes Glück zu fassen. Von Taragaisk bis Torusk … er kannte diesen Weg durch den Hochwald wie den Inhalt seiner Taschen. Man tritt aus dem Wald in die Lichtung von Torusk, und das erste Haus am Weg ist das der Turganows. Ein großes Blockhaus mit zwei Ställen, von denen einen die Baukolonne der deutschen Plennys unter Martin Abels' Leitung gebaut hatte. Zwischen Scheunen und Wohnhaus die Banja, davor der große Holzstapel mit Brennholz, halbmeterlange Scheite, die Anuschka und Olga den ganzen Sommer über hackten, sägten und zu Pyramiden aufschichteten, denn Holz war der einzige Wärmespender in Torusk. Wenn es im Ofen prasselte, konnte draußen der Schneesturm heulen. Was tat's? In dem großen Zimmer konnte man im Hemd sitzen und schwitzte trotzdem.
    Akja lief nicht mehr neben den Schlitten her. Sie waren zu schnell, die Pferdchen waren kräftig und gut genährt und hatten eine Freude, mit den singenden Kerlen zu fahren. So sprang er also hinten auf Abels Gastschlitten, legte die spitze Schnauze auf den Schoß seines Herrn, kniff die grünen Augen zu und schlief. Zum erstenmal seit Wochen schlief er wirklich – so fest, daß er nicht einmal aufwachte, als im ersten Schlitten jemand übermütig in die Luft schoß, »Heij! Heij!« brüllte, und die anderen mit Grölen antworteten.
    Abels deckte den struppigen Kopf Akjas mit einem Fell zu, drückte den im Schlaf leicht zitternden Hundekörper an sich und war glücklich. Drei Tage bis Taragaisk, dachte er. Und dann nur noch einen Tag bis Torusk. Und dann …
    »Ja, was dann?«
    Er lehnte sich in die Decken zurück, zog die Pelzkappe ins Gesicht und verkroch sich in die Wärme des Schlittens.
    Dann würde er vor der Hütte der Turganows stehen, er würde anklopfen, und Olga Turganowa kam heraus oder gar der alte Pawel Andrejewitsch selbst. Staunen würden sie, mit offenem Mund, sprachlos, wie einen Waldgeist würden sie ihn anstarren und es nicht glauben. Ja, er ist es wirklich. Martin, unser Plenny, unser Freund, unser Wohltäter, unser zweiter Sohn. Willkommen, mein Junge, willkommen in Torusk. Gut siehst du aus. Viel kräftiger als damals. Aber nun ist ja auch Frieden, du kommst aus der Freiheit. Was stehst du draußen im Schnee? Tritt ein, Martin, nimm den Pelz ab, Söhnchen, wärme dich am Feuerchen und iß eine Pfanne Speck mit Bohnen. Du weißt doch: Olgas Speck ist fast so gut wie ein Frauenkuß … Und dann lachte er, der alte

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