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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Karaganda, wo sie in den Kohlengruben verheizt wurden. Es gab kaum einen Paragraphen der Volksschädigung, den sie nicht verletzt hatten. Aber man betrachtete sie als Halbirre, als Fehlgeleitete, als Opfer eines religiösen Wahns. Schlimmer lag es bei den Jägern, mit Dimitrij und dem Halbmongolen. Sie waren vollwertige Bolschewisten und hatten trotzdem geschwiegen. Sie hatten bei der Sekte gewohnt, sie kannten sie seit Jahren. Kommissar Iswarin tobte, schlug mit der Faust auf den Tisch, brüllte: »Ihr Hundesöhne! Ihr feigen Affen! Ihr Verräter am Sozialismus! Ihr Hurengezücht!« und drohte mit Aufhängen. Auch Martin Abels wurde so behandelt. Er wurde als einer der Jäger angesehen, und er schwieg dazu, denn die Wahrheit wäre noch ärger gewesen.
    Sie wurden abgesondert von der Sekte. Während die Brüder Vater Matwejs auf Lastwagen abgefahren wurden, blieben die Jäger und mit ihnen Abels im Truppenlager, in Einzelhaft, in Zelten, auf deren Gummiboden sie lagen, ungefesselt denn es wimmelte ja von Soldaten.
    Akja, der Wolfshund, war verschwunden. Bis zum Militärlager war er treu neben Abels durch den Schnee getrabt, aber als er die Zelte sah, die Uniformen, die vielen Soldaten, blieb er stehen, mit vorgestreckten Ohren, wandte sich dann um und lief in den Wald zurück. Er war ein kluger Hund. Wo Uniformen sich versammeln, entsteht selten etwas Gutes. Fast nie. Wirklich, man sollte den Menschen ein bißchen Hundeverstand wünschen! – Habe ich recht, Brüderchen?
    Um das Folgende zu verstehen, muß man wissen, daß ein guter Russe zwei Dinge haßt wie den Satan: einen schlechten Wodka und einen Wolf. So friedlich er sonst sein kann, bei diesen beiden Plagen fährt er aus der Haut und vergißt, ein Christenmensch zu sein. Er rennt bis in die Hölle, um sich zu rächen, er kommt außer sich, er wird blutrünstig wie Iwan der Schreckliche.
    In der dritten Nacht umheulte ein Wolfsrudel das Lager. Wenigstens schien es so, als habe ein hungriges Rudel die Zelte umstellt und mache sich bereit, die Unterkünfte der Rotarmisten zu stürmen. Bald heulte es rechts, bald links, bald an anderer Stelle, und der Ton war so schaurig, das langgezogene Jammern und Heulen so zermürbend, daß Hauptmann Dronow, der Kommandeur, sich entschloß, eine große Jagd auf diese Wölfe zu machen. Er ließ Alarm geben, und sogar Kommissar Iswarin schloß sich der Treibjagd an. Er wäre kein Russe gewesen, würde er sich nicht am Kampf gegen den Wolf beteiligt haben.
    Mit Scheinwerfern und in Gruppen zu vier Mann zog die Truppe aus dem Lager. Sternförmig schwärmten sie aus, und Hauptmann Dronow, der etwas von Jagd verstand, wies auf eine Menge Spuren im verharschten Schnee.
    »Ein Riesenwolf führt die Herde«, sagte er zu Kommissar Iswarin. »Sehen Sie hier, Genosse. Das sind fast schon Tatzen.«
    Als das Lager leer war und die Soldaten durch die verfilzten Wälder streiften, ertönte ein dumpfer, dröhnender Knall. Dann folgte eine Explosion, die den Boden erzittern ließ. Wilde Schreie und Flüche zerrissen die Nacht, eine Alarmsirene gellte auf, Kommandos ertönten über Lautsprecher.
    Abels sprang auf und versuchte sein Zelt zu öffnen. Es gelang nicht sofort, der Eingang war mit einem Schloß gesichert. Doch plötzlich wurde der dicke Stoff von außen aufgezogen. Abels prallte mit einem Rotarmisten zusammen. Eine Taschenlampe flammte auf.
    »Los, raus hier«, befahl eine Stimme. Und dann erkannte Martin das Gesicht des Soldaten. Ein junges Lausbubengesicht mit kurzen blonden Haaren.
    »Du hast mich also doch nicht …«
    »Halt's Maul!« zischte der Rotarmist. »Komm raus, Mensch. Nun mach doch schon!«
    Sie traten ins Freie. Der Himmel über dem Lager leuchtete grellrot. Aus einer Baracke schlugen hohe Flammen. Funken flogen, Munition explodierte, Soldaten rannten durcheinander. Zehn Männer versuchten verzweifelt, den Hubschrauber wegzuschieben, der in bedrohlicher Nähe des Feuers stand. Und immer noch heulte die Alarmsirene hell und klagend durch das Inferno.
    Der junge Soldat drückte Abels einen großen Beutel in die Hand.
    »Hier, meine Notverpflegung«, sagte er. »Nimm sie! Lauf, so schnell du kannst.« Er zögerte, dann grinste er breit und fügte hinzu: »Ein zweites Mal kann ich nämlich kein Feuerwerk für dich veranstalten …«
    »Du hast …«
    »Hau doch endlich ab, Brüderchen.«
    Abels murmelte ein Dankeswort. Dann rannte er in langen Sätzen davon, auf den Waldrand zu. Niemand hielt ihn auf, niemand merkte, daß

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