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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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er einer der Gefangenen war. Aber die Angst hetzte ihn vorwärts wie mit Peitschenhieben. Seine Lungen keuchten, sein Herz hämmerte. Er rannte und rannte im Zickzack durch das Lager, an Zelten und Fahrzeugen vorbei, zwischen schreienden Soldaten hindurch. Dann, endlich, hatte er das schützende Dickicht erreicht. Schwer atmend lehnte er sich an einen Baumstamm und schloß die Augen.
    Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren. Er hörte ein dumpfes Knurren, spürte einen weichen, drängenden Stoß am Knie … und hätte vor Freude fast aufgeschrien.
    Akja stand bei ihm. Akja, der treue Kerl. Wie ein Gespenst war er aus der Nacht aufgetaucht. Sie hatten sich wiedergefunden. Martin Abels beugte sich hinunter und griff zärtlich in das struppige Fell des Tieres. Akja leckte seine Hand und winselte leise.
    »Mein Lieber«, sagte Abels gerührt und drückte Akja an sich. »Mein Treuer. Wie kann ein Hund so klug sein? Sag, kannst du denken?«
    Dann gingen sie zusammen weiter, hinein in die Wildnis, weg von der Feuerlohe, die immer noch als rötlicher Schein hinter ihnen über dem Lager stand. Akja lief voraus, und Abels folgte ihm blindlings. So kamen sie an die Lena und überquerten noch in der Nacht den riesigen zugefrorenen Fluß. Neuer, undurchdringlicher Wald nahm sie auf und diesmal das ferne Geheul wirklicher hungriger Wolfsrudel.
    Erst am Morgen wurde das Verschwinden des Gefangenen Nikolai Stepanowitsch Arkadjef bemerkt, nämlich erst dann, als man ihn zum neuen Verhör holen wollte. Hauptmann Dronow, wütend über den Mißerfolg der nächtlichen Wolfsjagd, rannte zum Zelt und starrte auf das leere Lager.
    »Ein Idiot!« schrie er. »Nun wird er verhungern. Er hat ja nichts bei sich als seinen Hintern, und selbst der wird arbeitslos.«
    Kommissar Iswarin sah die Sache anders. Er brüllte von Schlamperei und politischer Dummheit. Aber das mußte er – er war ja Kommissar und verantwortlich für die bolschewistische Lebensart des Volkes.
    Um diese Zeit, gegen 9 Uhr, saß Martin Abels im dichten Wald und aß das rohe Fleisch eines Schneehasen, den Akja gehetzt und geschlagen hatte.
    *
    Die Hochzeit zwischen Inken Holgerson und Benno Fahrenkrug war auf das nächste Jahr verschoben worden. Zwei Gründe waren dafür maßgebend, die von der Bremer Gesellschaft akzeptiert wurden: Fahrenkrug junior mußte für drei Monate nach Westafrika, um dort eine Filiale des elterlichen Exporthauses einzurichten sowie die neuen afrikanischen Mitarbeiter einzuweisen, und jeder hatte Verständnis dafür, daß der alte Fahrenkrug das nicht selbst machte, denn er war herzkrank und vertrug das Tropenklima nicht. Zum zweiten reiste Holgerson mit Inken von Knochenspezialist zu Knochenspezialist, um alle medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen.
    Überall wurden die Röntgenbilder eingehend betrachtet, wurde konferiert, traten mehrere Chirurgen zusammen und versuchten dem Reeder Holgerson in vielen wissenschaftlichen Worten zu erklären, daß eine Operation die Gefahr in sich schloß, das ganze Bein zu verlieren.
    Dickköpfig, wie ein Holgerson eben ist, reiste der Alte weiter. Nach Berlin, nach Köln, nach Bochum, nach London, Brüssel und Paris, nach Turin und Warschau und sogar, nach langen Verhandlungen mit der Botschaft in Rolandseck, nach Moskau zu Professor Demichow. Aber auch hier, im Mekka der modernen, wegweisenden, alles wagenden Chirurgie, zog man die Augenbrauen hoch und hob die Schultern.
    »Laß es so, wie es ist, Paps«, sagte Inken, als auch in Moskau die Hoffnungslosigkeit in umschreibenden Worten erklärt wurde. »Finden wir uns damit ab, daß ich ein weiblicher Toulouse-Lautrec werde. Man kann zwar ein zu langes Bein verkürzen, aber ein zu kurzes nicht mehr verlängern.«
    Der alte Holgerson schlug sich an die Stirn. »Das ist es!« rief er. »Inken! Daß darauf noch niemand gekommen ist! Wir werden dein gesundes Bein verkürzen lassen, dann kannst du wieder normal gehen.«
    »Nein!« Dieses Nein war laut, hart und endgültig. »Ich habe genug von diesem Krankenhausleben. Ich will nicht mehr operiert werden. Bisher bin ich mit dir durch die Welt gereist, weil ich wußte, daß es keine Hoffnung für mich gibt. Aber ich sah, wie du dich an die großen Namen der Medizin geklammert hast … ich … ich wollte dir nicht weh tun.« Sie warf den Kopf zurück, und diese Bewegung kannte Holgerson an seiner Tochter. Es war müßig, weiter mit ihr über dieses Thema zu sprechen. »Laß uns nach Hause fahren, Paps. Aber wenn

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