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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Turganow.
    Und er würde in der Hütte stehen, sich umsehen, warten, hoffen, innerlich beten, und wieder warten und dann leise fragen, ganz schamhaft, so völlig nebenbei: »Sagt, ihr Lieben, wo ist Anuschka … ich sehe sie nicht.« Und Turganow würde sich auf die Schenkel schlagen und rufen: »Unser Täubchen, unser Sonnenschein, unser Vögelchen? Oh, die lebt in Pjeltorask, weißt du, fast am großen Baikalsee. Verheiratet ist sie, drei süße Kinderchen hat sie schon. Ihr Mann Jefim Maximowitsch Farafonow ist Geologe. Weißt du, Söhnchen, so einer, der das Land vermißt. Und Anuschka hat er auch vermessen und für richtig befunden, haha!« Und wieder würde Turganow lachen und sich wiegen im Großvaterstolz. Und Olga, das Mütterchen, würde ein paar Bilder holen und sie Martin zeigen. Anuschka im Brautkleid, Anuschka mit dem ersten Kind, mit dem zweiten, mit dem dritten, und Farafonow, der Geologe, stolz wie ein siegreicher Hahn, immer daneben. Und die Augen Anuschkas würden traurig sein und wie in weite Ferne blicken. Das Leben war weitergegangen, aber ihr Herz war stehengeblieben …
    Martin Abels spürte, wie sein Herz bis zum Hals schlug und Atemnot sich seiner bemächtigte. Er warf die Decken von sich und hielt seinen glühenden Kopf in den Fahrtwind. Akja erwachte und leckte seinem Herrn die Hand.
    »Ja, dich habe ich noch«, sagte Abels mit zitternder Stimme. »Mein Guter, mein Bester … du wirst immer bei mir bleiben.« Aber der Stachel des Zweifels blieb, und er drang immer brennender ins Herz, je näher sie Taragaisk kamen. Am dritten Tag, kurz bevor die Siedlung aus dem Schnee auftauchte – zuerst waren es nur helle Rauchwolken über Schneehügeln –, wurde es besonders schlimm. Unjeski würde wissen, was mit Anuschka war. Sagte er, daß sie nicht mehr in Torusk war, würde die Reise in Taragaisk enden. Warum noch weiter nach Torusk? Warum noch sehen, wo sie gelebt hatte? Warum das Rad des Lebens zurückdrehen und noch einmal alle Wege gehen, die er mit ihr gegangen war … die Waldschneisen, in denen sie sich küßten; das Schilfufer der Lindja, wo sie zum erstenmal wußten, daß niemand sie mehr trennen konnte; die Scheune neben der Banja, wo sie im Stroh gelegen hatten und von der Zukunft träumten.
    Dann waren sie in Taragaisk. Wie die Kriegshorden Tamerlans jagten sie mit ihren Schlitten durch das Dorf, brüllend und singend, umfuhren die Höfe, fuhren Karussell um das Magazin Unjeskis und vollführten einen Krach, als sei das Ende der Welt gekommen und man wolle sich noch einmal austoben. Dann zeigte man den staunenden Dorfbewohnern die drei riesigen Tigerfelle und ließ sich feiern als die größten Jäger. Freunde, war das ein Spaß.
    Victor Pawlowitsch Unjeski war nicht zu Hause. Er war in die umliegenden Dörfer gefahren, um die Kleinfelle abzuholen, vor allem Luchse und Marder. Es hieß, er komme erst in drei Tagen wieder. Den Jägern mit den Tigerfellen war es recht. Wer solche Felle bei sich hat, bekommt überall Kredit für Essen und Trinken. Sie stellten ihre Schlitten an der einzigen Herberge des Ortes ab und forderten die besten Zimmer für sich. Man gab sie ihnen gern, denn die Rubel, die Unjeski ihnen für die Tiger geben würde, blieben in Taragaisk. Man kannte das.
    Martin Abels aber zog am nächsten Morgen weiter. Er hatte von den Jägern ein Paar alte Skier bekommen und Proviant für einen Tag. Auch Akja war gefüttert worden. Die Innereien eines frisch geschlachteten Rentieres waren eine besondere Delikatesse für ihn. Prall gefressen und zufrieden lief er vor Abels her, und da es zwischen Torusk und Taragaisk nur die eine ausgefahrene Waldschneise gab, war ein Verlaufen nicht mehr möglich.
    Zehn Werst vor Torusk übernachtete Abels noch einmal in einer Erdhöhle. Er fand sie sofort wieder; sie war unverändert, als seien keine acht Jahre darüber hingegangen. In dieser Erdhöhle hatte er einmal mit Turganow einem Bären aufgelauert, drei Tage und vier Nächte lang. Einem riesigen Bären, der im Winter blutrünstig geworden war und in die Ställe einbrach. Vier Schafe und zehn Hühner hatte er gerissen. Die Bauern von Torusk jammerten und rangen die Hände. Sie hatten den Bären endlich bekommen, Turganow und der Plenny Martin. In der vierten Nacht kam er an ihrer Erdhöhle vorbei, auf dem Weg ins Dorf. Und sie schossen fünfmal in das riesige Tier hinein, bis der Fleischberg zusammensank.
    Abels legte sich auf den Boden und starrte gegen die nasse Wand der Höhle. Wie

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