Ein Magier auf Höllentrip
die wahre Natur meines Gefängnisses. Es sah so aus, als säße ich mitten auf einer Waldlichtung auf der Oberflächenwelt; das helle Licht der Mittagssonne wurde durch das grüne Blätterdach über meinem Haupt angenehm gefiltert.
Ich zwang mein Herz, ruhiger zu schlagen, und meine Lungen, regelmäßiger zu atmen. Soweit war alles gar nicht einmal so schlimm. Vielleicht war Urrpphh und seinen Gehilfen ja ein Fehler unterlaufen!
»Wuntvor?« rief mich eine Frauenstimme.
Meine Hoffnung erhielt plötzlich Flügel. Wäre es möglich?
Eine Frau tauchte zwischen den Bäumen auf, doch es war nicht Norei. Die Fremde war jedoch schön genug, mit rabenschwarzen Locken und durchdringenden schwarzen Augen; und doch vermochte ich meine Enttäuschung nicht zu verhehlen. Irgendwo im Hintergrund ertönte leise Musik.
»Wuntvor!« schmollte die Frau. »Endlich bist du gekommen! Bist du nicht glücklich, mich zu sehen?«
»Entschuldigt!« stammelte ich ein wenig abgelenkt. »Kennen wir uns?«
Sie lachte, ein Laut, der mir wie das Klingeln heller Silberglöckchen vorkam. »Oh, das ist doch typisch für dich! Du neckst deine Geliebte!« Sie wandelte über den weichen Waldboden, der mit Piniennadeln bedeckt war, auf mich zu. »Und doch bist du zu unserem Lieblingsplätzchen gekommen, zu unserem Bett im Walde!«
Bett im Walde? Was redete sie da? Hatte man mir diese Frau geschickt, um mich zu umgarnen? Zugegeben, sie war schön. Aber nein! Ich würde Norei treu bleiben. Ich würde nicht auf einen dieser Niederhöllentricks hereinfallen! Wieder bemerkte ich die seltsame Musik, die nun lauter geworden zu sein schien.
»O Wuntvor!« tadelte mich die Frau sanft, als sie an meiner Seite stand. »Du bist ja ganz verkrampft! Erlaube mir, dich ein wenig zu massieren!« Sie stellte sich vor mich und legte ihre langgliedrigen Hände auf meine beiden Schultern; dann blickte sie mir tief in die Augen. Ich fand es überhaupt nicht entspannend. Warum fühlte sich mein Mund so trocken an? Auch die Musik schien lauter zu klingen.
»Wuntvor«, wisperte die Frau mit dem rabenschwarzen Haar. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe, wie lange ich davon geträumt habe! Oh, ich sterbe für einen Kuß von dir!«
Ja, jetzt war ich mir ganz sicher, daß die Musik wieder an Lautstärke zugenommen hatte. Sie spielte um unsere beiden Gestalten und erschwerte mir das Nachdenken erheblich. Was geschah? War es wieder das niederhöllische Kauffieber? Doch hier gab es nichts zu kaufen. Mein Gott, hatte diese Frau große Augen! Auch hatte ich bislang nicht bemerkt, wie anziehend ihre Lippen waren. Und ich fand es immer schwieriger, zu atmen.
»O Wuntvor«, seufzte die Frau, und mein Name, ausgesprochen von ihren Lippen, war der wundervollste Laut auf der ganzen Welt. »Oh«, stöhnte sie. »Wuntvor! Nimm mich!«
Ja, das würde ich tun! Ja! Alles, was sie wollte! Ja! Ihre Hände glitten über meine Schultern, um mich enger an sie zu pressen. Ja! Unsere Gesichter näherten sich, unsere Lippen näherten sich noch mehr. Ja! Ja! Ja!
»Tochter?« schrie eine Stimme, schroffer als die der Trolle.
Ich küßte die leere Luft. Meine rabenhaarige Schöne hatte sich von mir gelöst.
»O weh und ach«, klagte sie. »Es ist mein Vater, der geschworen hat, jeden Mann zu töten, der mich küßt. Du bist ja so tapfer, Wuntvor, mich so zu lieben, obwohl du weißt, daß mein Vater der beste Schwertkämpfer im ganzen Königreich ist. Doch ach! Da kommt er auch schon durch die Bäume!«
Irgendwo hörte ich es heftig rascheln, als nähere sich nicht ein einzelner Schwertkämpfer, sondern eine ganze Armee.
»Renn, mein Geliebter, renn um dein Leben, sonst wird er dir zerschlagen deinen Magen!« Meine dunkelhaarige Schöne lehnte sich vor, um mich zu küssen, überlegte es sich dann aber doch anders und drängte mich in das Gebüsch, das in der entgegengesetzten Richtung zu dem sich wütend nähernden Vater lag.
Ich rannte, bis ich eine andere Lichtung erreichte, wo ich eine kurze Pause einlegte, um wieder zu Atem zu kommen; ich wollte weiterrennen, sollte es sich als notwendig erweisen, doch kein Laut war mehr zu hören.
Dann erst bekam ich Zeit, darüber nachzudenken, was mir begegnet war.
Wer war diese rabenschwarze Schönheit? Was wollte sie ausgerechnet von mir? Obwohl wir uns gerade erst kennengelernt hatten, sehnten sich doch meine Lippen schmerzlich nach ihrem Kuß und meine Arme nach ihrer Berührung.
Ich schüttelte
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