Ein Magier im Monsterland
»Nun gut«, bemerkte der Kleine. »Laß uns nun zum Kern der Sache kommen! Was ist das für ein Quatsch mit diesen Jungfrauen?«
»Was?« Das Einhorn schüttelte seine Mähne. »Wieso, das sind eben Dinge, mit denen wir Einhörner uns normalerweise beschäftigen. Man erwartet das von uns, wißt Ihr, so wie man von Schuhberts erwartet, daß sie Schuhe machen.«
»Doch wir werden das ändern!« schrie der Schuhbert. »Schuhberts machen es besser!« Der Kleine räusperte sich. »Verzeihung! Ihr habt da nur einen wunden Punkt berührt!« Er schoß einen anklagenden Blick in Snarks’ Richtung, der immer noch nahezu unsichtbar in seinen faltenreichen Roben kauerte. »Dafür habe ich mich schon immer interessiert. Suchen Einhörner wirklich nach Jungfrauen?«
»Eigentlich nicht«, antwortete das schneeweiße Tier. »Meine Auffassung vom wahren Einhorntum war immer die, über weite Felder zu galoppieren und fabelhaft auszusehen. Jungfrauen sind eher eine Nebensache, doch wir erkennen sie, wenn wir einer begegnen. Hier befindet sich auch eine, ja wirklich.«
Um mich herum zog alles die Luft ein.
»Ja, zumindest jemand, der einer Jungfrau in gewisser Weise gleicht. Ich kann das immer feststellen, wißt Ihr. Das ist eine Disziplin, in der wir Einhörner ungeschlagene Meister sind.« Übermütig schüttelte es seine Mähne. »Natürlich sind wir das in einer nicht gerade geringen Anzahl von Disziplinen«, setzte es in aller Bescheidenheit hinzu.
»Wartet eine Sekunde«, warf ich ein; zugegebenermaßen irritierte mich diese Gesprächswendung etwas. »Müssen Eure Jungfrauen nicht weiblichen Geschlechts sein?«
»Ein weit verbreitetes Mißverständnis. Nein, Jungfrau ist Jungfrau, ob männlich oder weiblich, und ich rieche hier eine!«
»Verdammnis«, begann der riesige Krieger.
Die Neugier dieses Wesens bereitete mir Unbehagen. Was wollte dieses muskelbepackte Wesen damit andeuten? Snarks gab einen unterdrückten Laut des Kicherns tief in seiner Robe von sich.
»Gut.« Der Zauberer trat wieder vor, wobei er diskret die Nase in seinen Gewändern verbarg. »Diese Überlegungen sind zweifellos überaus interessant, doch hättest Ihr nun die Güte, uns mitzuteilen, vor wem Ihr davonlauft.«
»Davonlaufen?« Trotzig stampften die goldenen Hufe des Einhorns den Boden. »Einhörner laufen vor niemandem davon! Nun ja, es entspricht nicht ganz der Wahrheit, laßt es mich so formulieren, daß die intelligenteren unter den Einhörnern wissen, wen sie besser meiden sollten.« Nervös schielte das Wesen nach oben.
Der Magier schneuzte sich. »Und wer, in der Tat, sollte das sein?«
Das Einhorn wandte seinen Blick vom Himmel ab. »Ich habe schon bei weitem zu viel gesagt.« Mit einer knappen, eleganten Wendung seines Halses sah es uns an, dann deutete es mit seinem Horn in eine Richtung. »Da lang!«
Und sein Horn wies in Richtung Vushta.
»Ich habe gesagt, was ich sagen durfte. Das Glück des Einhorns sei mit euch!« Das stattliche Tier drehte uns den Rücken zu und galoppierte in den Wald, aus dem es gekommen war.
»Der Segen eines Einhorns!« Snarks hatte seine Kapuze zurückgeschlagen. »Wenn das, was dieser komische Zossen durchgemacht hat, einhornisches Glück ist, dann dürfte es sich für uns als so nützlich wie Schuhbert-Wünsche erweisen!«
Hastig zog sich der Dämon wieder die Kapuze über, als der Schuhbert sich ihm näherte.
»Verdammnis«, hub Hendrek an. »Sollen wir’s wagen, noch weiter vorzustoßen, um dem schrecklichen Wesen zu begegnen, dem dieses Einhorn gerade entrann?«
»Wir müssen«, bestand der Zauberer. »Steckt Eure Waffe weg, ja? So ist’s brav. In diesem Falle glaube ich jedoch, daß Freund Snarks eine wertvolle Bemerkung getätigt hat. Jede Information, das wissen die Weisen, ist nur so gut wie die Quelle, aus der sie stammt. Und eine Quelle, deren Hauptsorge darin besteht, ob ihre Mähne durcheinandergebracht worden ist, ist so gut wie gar keine Quelle.«
»Was auch immer geschieht«, piepste ein dünnes Stimmchen neben uns, »ihr habt einen Schuhbert an eurer Seite!«
»In der Tat. Ich bin mir sicher, daß wir, wenn der angemessene Zeitpunkt herangerückt ist, dafür in ebenso angemessene Dankesbekundungen ausbrechen werden.«
»Aber was ist mit Noreis Warnung?« wollte ich wissen. »Könnte das Einhorn etwas bemerkt haben?«
»Wenn ich das nur wüßte, Wuntvor.« Der Zauberer stierte zum Himmel empor, wo die Wolken dahinjagten, als wolle er dort entdecken, was das Einhorn so
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