Ein magischer Walzer
Ball und schreitet mit finster gerunzelter Stirn durch den Saal. Ich glaube nicht, dass ich ihn schon einmal gesehen habe.“ Das hatte sie auf keinen Fall. Wer könnte einen Mann wie ihn vergessen?
„Welchen Gentleman meinen Sie?“ Mrs. Jenner hob ihr Lorgnon. „Beerdigung, sagen Sie? Die Hälfte der jungen Männer zieht sich heute wie für eine Beerdigung statt für einen Ball an. Zu meiner Zeit kleidete man sich prächtig wie Pfauen, in Satinhosen und kunstvoll bestickten Westen - ach du meine Güte, der Mann!“ Mrs. Jenner zuckte leicht zusammen, als sie dem Blick ihres Schützlings gefolgt war. „Dieser grässliche Junge Giles Bemerton führt den Kerl in die besten Kreise ein. Für alle Andeutungen, es zu unterlassen, ist er taub - da stellt er sich stur.“
„Warum sollte Mr. Bemerton ihn denn nicht überall vorstellen?“, erkundigte sich Hope interessiert.
„Er hat Schultern wie ein gewöhnlicher Hafenarbeiter! “ Mrs. Jenner rümpfte die Nase. „Keine Überraschung, bedenkt man, wo er herkommt.“
Als merkte er, dass er das Thema ihres Gesprächs war, wandte er den Kopf und schaute sie geradewegs an. Er schaute Hope an. Nicht sie und ihre Zwillingsschwester. Er sah sich nicht im Raum um, sondern einfach nur zu Hope. Der Blick, den er ihr zuwarf, war unmissverständlich. In ihm loderte Verlangen. Verlangen nach Hope.
Unfähig, den Bann seines Blickes zu brechen, spürte Hope ein Prickeln in ihrem Körper.
„Schauen Sie weg, meine Lieben“, verlangte Mrs. Jenner scharf. „Der Kerl hat im Ballsaal einer Dame nichts verloren. Und für zwei schöne, unverheiratete junge Mädchen ist er erst recht nichts.“ Damit drehte sie sich um und entfernte sich, ihre Schützlinge im Gefolge.
Faith zwinkerte ihrer Schwester zu, während sie zu einem ruhigen Alkoven geführt wurden, aber Hope war nicht in der Verfassung zurückzuzwinkern.
Der kurze, wortlose Austausch hatte sie erschüttert wie selten etwas. Er streifte durch den Saal wie jemand, der sich seines Platzes in der Welt sicher war, gleichgültig seiner Umgebung gegenüber. Als er hingegen Hope angesehen hatte, hatte sie Hunger in seinen Augen entdeckt. Sehnsucht, die ihr galt.
Es berührte etwas in ihr, von dem sie nicht gewusst hatte, dass sie es besaß. Am liebsten wollte sie zurück in den Ballsaal gehen, sich vor ihn stellen und seine Hand nehmen. Sie wollte ihm in die Augen sehen und seine Stimme hören.
War das der Donnerschlag, von dem sie immer geträumt hatte? Das konnte nicht sein. Das Schicksal wäre nicht so grausam. Sie wollte keinen großen, hart aussehenden Mann, einen, der sie an ihren Großvater erinnerte!
Nachdem sie Sitzplätze gefunden hatte, ließ Hope sich dankbar nieder. Ihre Knie zitterten. Mrs. Jenner schickte die in der Nähe wartenden jungen Herren um Gläser mit Ratafia und danach ihrer Wege. „Lassen Sie uns bitte einen Moment allein, meine Herren“, verlangte sie. „Die Mädchen und ich müssen wieder zu Atem kommen.“ Wie eine Schar neugieriger Gänse scheuchte sie die Bewunderer ihrer Schützlinge fort.
Von ihrem Platz im Alkoven aus beobachtete Hope ihn. Seine Größe machte es leicht, ihn in dem Gewühl zu verfolgen. Mr. Bemerton grüßte Bekannte hier und da, stellte seinen Freund vor, der seinerseits immer nur wenig zu erwidern schien und dann mit dem Anschein kaum gezügelter Ungeduld wartete, bis sein Freund weiterging.
Einmal hatte sie einen Tiger in einem Käfig gesehen, der erst kürzlich im Tower eingetroffen und genauso auf und ab geschritten war, ungeduldig mit seinem Schwanz schlug und sich keinen Deut um die Zuschauer draußen kümmerte.
Er sagte etwas mit gerunzelter Stirn zu Mr. Bemerton, der den Kopf in den Nacken warf und lachte. Der Tigerausdruck verschwand, an seine Stelle trat ironische Belustigung. Er war jünger, als sie zunächst angenommen hatte. Ungefähr genauso alt wie Giles Bemerton, entschied sie nun; noch nicht dreißig. Merkwürdig, dass er zuerst älter gewirkt hatte, als bedrückte ihn etwas.
Eine interessante Freundschaft, dachte Hope. Sie kannte Mr. Bemerton nicht sehr gut, aber sie hatte ihn immer für unbeschwert gehalten, einen unterhaltsamen Plauderer, wie Mrs. Jenner es ausdrücken würde, und ein bisschen einen Frauenhelden. Nie hätte sie gedacht, dass er mit jemandem befreundet sein könnte, der so grimmig und eindringlich wirkte.
Während sie an ihren Getränken nippten, bemerkte Hope beiläufig: „Mrs. Jenner, Sie müssen mir das erklären. Wer ist er?
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