Ein magischer Walzer
gesenkten Wimpern an und fügte hinzu: „Du hast dasselbe ... wilde Temperament, Oswald.“ Sie klimperte mit den Wimpern.
Hope und Faith kicherten. Großonkel Oswald versuchte, die Stirn zu runzeln, aber er war so entzückt über das ungehörige Kompliment, dass seine Augenbrauen nur unbestimmt zuckten. Er lief so rot an, dass Hope fürchtete, er könnte explodieren.
„Es ist so heiß hier drinnen“, erklärte sie hastig. „Lasst uns nach draußen gehen, um etwas Luft zu schnappen.“
Lady Gussie lachte leise. Hope hakte sich bei ihrem Großon-kel unter, und ihre Zwillingsschwester bei Lady Gussie. Für eine ältere Dame weit jenseits der fünfzig war Lady Gussie bemerkenswert unkonventionell. Es war ein offenes Geheimnis, dass Großonkel Oswald seit zwei Jahren versuchte, sie dazu zu bewegen, ihn zu heiraten, aber sie war noch nicht bereit, sich zu binden. Sie sei zum zweiten Mal verwitwet, erklärte sie, und das müsse ihm eigentlich zu denken geben. Zum ersten Mal in ihrem Leben genieße sie es, eine Witwe zu sein, besonders, weil sie eine lustige sei.
Einmal hatte Hope sie sogar sagen hören, Großonkel Oswald könne sich gerne nach Herzenslust mit ihr vergnügen, aber sie würde ihn nicht heiraten. In der Vergangenheit hatten Faith und sie stundenlang spekuliert, ob das hieß, dass Lady Gussie Großonkel Oswalds Mätresse war.
Inzwischen zweifelte Hope nicht mehr daran, und aus Faith’ Miene zu schließen, erging es ihrer Schwester nicht anders. Es war schockierend - auch noch in ihrem Alter! -, aber irgendwie auch süß.
Es wäre schön, auch im Alter noch verliebt zu sein, überlegte Hope wehmütig. Sie sehnte sich danach, verliebt zu sein. Es gab Tage, an denen die schmerzende Leere in ihr beinahe nicht zu ertragen war.
Dabei hatte sie wirklich versucht, sich zu verlieben. In den vergangenen beiden Saisons hatte sie mit Hunderten Männern getanzt, hatte sie ermutigend angelächelt und interessiert ihren Geschichten gelauscht. Viele hatten ihr Komplimente gemacht, Blumen geschenkt und kleine Aufmerksamkeiten; mehrere hatten sie sogar gebeten, sie zu heiraten. Sie hatten ihr die Hand geküsst und ein- oder zweimal sogar die Lippen, aber keiner von ihnen hatte sie innerlich berührt.
Quer durch den Saal blickte sie zu Mr. Reyne, der sich gerade über Lady Elinores Hand beugte, und runzelte die Stirn. Schon wieder Lady Elinore?
Sebastian fühlte ihren Blick und versuchte, ihn nicht weiter zu beachten. Er war um Lady Elinores willen hier. Von allen Damen auf Morton Blacks Liste stach Lady Elinore wie für seine Zwecke maßgeschneidert hervor. Sie war still, bedächtig und ernst - alles Eigenschaften, die er bewunderte. Er fand es einfach, mit ihr zu reden; sie schien sich an Gesprächspausen nicht zu stören, und sie erwartete nicht, mit charmanten Komplimenten und Firlefanz umgarnt zu werden.
Und sie war rational. Alle seine Unterhaltungen mit Lady Elinore hatten sich bisher um vollkommen rationale Themen gedreht, was ihn sehr erleichterte. Er verstand die Frauen nicht. Genau genommen kein einziges weibliches Wesen. Eine rationale Frau war da auf jeden Fall vorzuziehen.
Am besten war, dass er so nicht Gefahr lief, von ihr verletzt zu werden. Sie gehörte nicht zu der Sorte Frau, in die man sich Hals über Kopf verliebte. Für Sebastian machte das die Sache perfekt. Sie würde eine gute Ehefrau abgeben, und er würde für sie sorgen.
Verstandesmäßig war sie die beste Wahl, das hatte er gründlich überprüft. Er war kein Mann, der von einmal gefassten Plänen abwich, er führte sie bis zum Ende durch. Und wenn unvorhergesehene Probleme auftauchten, räumte er sie aus dem Weg und machte weiter.
Er schaute quer durch den Saal. Sein unvorhergesehenes Problem runzelte die Stirn. Eine entzückende Falte hatte sich zwischen ihren Brauen gebildet, ihr makellos geformtes Kinn war leicht vorgeschoben und ihre roten Lippen nachdenklich gespitzt, was in ihm das Verlangen weckte, sie zu küssen - wenigstens ein Mal.
Im Kreis ihrer Familie und Freunde stand sie auf der anderen Seite des Ballsaals, lachte plötzlich mit ihnen über irgendeinen Scherz. Statt des Parkettbodens hätte sie genauso gut ein unüberwindlicher Abgrund trennen können.
Er stieß Giles an und bedeutete ihm, er wolle gehen. Innerhalb von Minuten standen sie vor ihrer Gastgeberin und verabschiedeten sich.
„Was ist los?“, fragte Giles, während sie darauf warteten, dass ihnen Mäntel und Hüte gebracht wurden. „Ich dachte, du
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