Ein magischer Walzer
Selbst ihre Hand zu einem Ländler zu halten war Folter.
Sie räusperte sich. Das hatte sie schon mehrmals getan, fiel ihm auf. Er schaute sie an. Mit gerunzelter Stirn schaute sie zurück.
Er merkte, dass sie eine ganze Weile schweigend getanzt hatten und dass er möglicherweise dabei die Stirn gerunzelt hatte. Dazu neigte er, wenn er nachdachte. Giles hatte ihm einmal gesagt, er sähe richtig bedrohlich aus, wenn er in Gedanken versunken war. Er führte die nächsten Tanzschritte aus und sagte abrupt, als sie wieder zusammenkamen: „Es tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein, ich war mit meinen Gedanken weit weg.“
„Ja, mich beschäftigt auch etwas“, erwiderte sie. „Sie haben vor kurzem ein Waisenhaus gekauft.“
Er blinzelte. Es war das Letzte, was er von ihr zu hören erwartet hätte. „Ja.“
„Warum?“
Er versteifte sich und sagte kühl: „Meine Gründe sind persönlicher Natur.“ Damit hätte er rechnen müssen. Die Leute wollten immer alles Mögliche wissen. Aber er würde niemandem, noch nicht einmal Miss Hope Merridew, die Verbindung zwischen seiner Familie und der Tothill-Fields-Anstalt für Mittellose Mädchen erklären.
„Sie sind doch Besitzer einer Weberei, oder?“ Sie machte einen Chassez-Schritt nach vorne, sprach und wich wieder zurück.
Angesichts des vorwurfsvollen Tons in ihrer Stimme runzelte er die Stirn, und als sie wieder zusammenkamen, antwortete er: „Ja, das ist kein Geheimnis.“
„Das hatten Sie nie zuvor erwähnt.“
Ihr Tonfall traf einen Nerv bei ihm. „Nein. Ich dachte nicht, Sie seien daran interessiert. Aber ich schäme mich meiner Webereien nicht.“
„Offensichtlich nicht.“
Das ärgerte ihn. Viele Mitglieder der Gesellschaft besaßen Webereien, Minen oder andere Fabriken, gaben das aber nicht offen zu. „Genau genommen gehören mir mehrere Webereien.“ „Ach ja?“ Sie wirbelte mit hochmütiger Miene um ihn herum. „Woll- und Baumwollwebereien.“
„Faszinierend.“
Es dauerte mehrere Tanzschritte, ehe er darauf erwidern konnte: „Und ich schäme mich deswegen nicht.“
„Nein, warum sollten Sie auch? Und ich nehme an, Sie lassen Kinder unter entsetzlichen Bedingungen für sich schuften, stundenlang, und schämen sich auch dafür nicht.“ Herausfordernd blickte sie ihm in die Augen, wartete auf seine Antwort.
Sebastian war so wütend, dass er sich weigerte, darauf etwas zu sagen.
Das Schweigen dehnte sich aus. Sie blieb mitten im Schritt stehen. „Es stimmt also. Für Ihren Profit beuten Sie kleine Kinder unter furchtbaren Arbeitsbedingungen aus.“
Er zwang sich, mit ausdrucksloser Stimme zu erwidern: „Ich nutze Kinderarbeit. Es gibt in ganz England keine Fabrik, die ohne sie überleben könnte. Aber die Bedingungen sind nicht furchtbar ...“
„Ich bin voll und ganz gegen Kinderarbeit in Fabriken.“ „Davon verstehen Sie nichts.“ Wenn Fabriken Kindern keine Arbeit gaben, dann wären er, sein Bruder, seine Mutter und seine kleinen Schwestern verhungert. Nachdem er die Bedingungen aus erster Hand kannte, hatte er allerdings eine Reihe von Änderungen vorgenommen, als er der Besitzer wurde.
„Ich habe mehrere Redner zu dem Thema gehört, und deren Beschreibungen haben mich tief betroffen gemacht. Kinder, kaum mehr als Babys, schuften in höllischen Fabriken wie Sklaven zwölf bis vierzehn Stunden lang, und das alles für einen Kanten trockenen Brotes als Lohn!“
„Meine Arbeiter sind keine Babys ..."
„Wie können Sie nur - wie kann ein Mann, der sich Gentleman nennt - das auch noch rechtfertigen? Fett zu werden an dem Elend von Kindern.“
Fett! Von ihrer Beschuldigung getroffen, entgegnete er heftig: „Ich werde nicht fett... “
Aber Miss Hope war nicht mehr da, um ihn zu hören. Sie war von der Tanzfläche geschritten und hatte ihn in der Mitte allein stehen lassen.
Sebastian schaute ihr nach, wütend auf sich selbst und auf sie. Er wusste, was sie fragte, was die Leute über ihn tuschelten, was er mit einem Haufen Waisenmädchen wollte. Mädchen mit der Vergangenheit. Sie wusste es vielleicht nicht - nur wenigen war bekannt, dass die Tothill-Fields-Anstalt für Mittellose Mädchen sich darauf spezialisiert hatte, Mädchen aus Kinderbordellen zu retten. Dennoch war er wütend, dass ihr der Verdacht überhaupt gekommen war, er könnte junge Mädchen ausbeuten. Oder irgendwelche Kinder.
Die Kinder, die für ihn arbeiteten, wurden nicht ausgebeutet, verflucht noch einmal.
Er wollte ihr nachlaufen
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