Ein magischer Walzer
und sie schütteln! Oder sie besinnungslos küssen, bis sie beide nicht mehr stehen konnten! Und dann würde er ihr die Wahrheit sagen.
Stattdessen beschloss er, seine Sorgen zu ertränken. Hoch erhobenen Hauptes marschierte er von der Tanzfläche, ohne sich um das Starren der anderen zu kümmern. Na und? Sie hatte ihn in der Mitte der Tanzfläche stehen lassen? Was scherte ihn die Meinung einer Bande von übersättigten Aristokraten?
Der Gedanke rief ihm ihre letzte Anschuldigung ins Gedächtnis. Warum ihn das am meisten störte, war ihm ein Rätsel. Aber es war so.
Er fand Giles in lässiger Pose neben Lady Elinore auf einer Bank sitzen, milde Belustigung auf seinen Zügen. Lady Elinore saß stocksteif neben ihm, das Retikül fest umklammert. Die Lippen hatte sie zusammengekniffen, die Nase trug sie hoch und ihr spitzes Kinn kämpferisch gereckt. Ihr Tanz hatte offensichtlich auch verfrüht geendet.
Missmutig gesellte er sich zu ihnen. Schweigen folgte auf seine Begrüßung. Lady Elinore entschuldigte sich schließlich und entfernte sich hastig.
Giles beobachtete sie grinsend. „Du hast sie verscheucht, Bastian, mit deinem finsteren Stirnrunzeln. Was hat dich nur in so eine Laune versetzt?“
„Hast du es nicht gesehen?“
„Nein.“
„Dann hast du nicht viel verpasst. Miss Hope und ich hatten eine Meinungsverschiedenheit, das ist alles.“
„Ah, ja. Worüber?“
Sebastian hatte nicht vor, ins Detail zu gehen. Aber es gab eine Sache, die er seinen alten Freund fragen konnte. „Sie sagte, ich würde fett“, erklärte er gekränkt. „Bin ich fett, Giles?“ Giles’Antwort bestand aus einem Lachanfall. „Erzähl mir alles, Bastian.“
Die nächste Stunde verbrachte Hope entweder vor Wut schäumend oder von Schuldgefühlen geplagt. Großonkel Oswald und Mrs. Jenner hatten sie gescholten, weil sie einen Mann einfach auf der Tanzfläche hatte stehen lassen. Und als sie es ihnen zu erklären versucht hatte, hatten beide sie scharf zurechtgewiesen.
„Gütiger Himmel, einem Mann zu sagen, wen er anstellen soll und wen nicht! Das geht dich nichts an. Eine Dame sollte über so etwas gar nicht erst nachdenken!“ Großonkel Oswald schnaubte abfällig. „Außerdem gibt es vermutlich im ganzen Saal keinen Mann, der nicht von Kinderarbeit profitiert - wie die Kinder übrigens auch -, darum schau mich gar nicht erst so an.“ Er hob mahnend einen Finger. „Wäre es dir lieber, sie verhungern? Und überdies braucht die Wirtschaft sie.“ Er gestikulierte heftig. „Denkst du etwa, der elegante persische Teppich dort wurde von vornehmen Damen geknüpft, die Tee nippen, oder kräftigen, braungebrannten Männern in Hemdsärmeln?“ Er schüttelte den Kopf. „Persische Kinder. Nur ihre Finger sind klein und schmal genug für eine so feine Arbeit. Dasselbe gilt noch für Dutzende anderer Sachen. Kinder sind billig und geschickt. Und England muss mit der Weltwirtschaft Schritt halten, zu niedrigen Preisen anbieten, sonst geht das Land vor die Hunde. Weiterhin haben die Kinder so eine nützliche Beschäftigung und machen keinen Unsinn. Anderenfalls hätten wir haufenweise Bettelkinder und Taschendiebe auf den Straßen! So, wie es ist, ist es schon schlimm genug. “
Mrs. Jenner war ebenfalls streng. Es sei ein Zeichen unglaublich schlechter Manieren von Hope. Jawohl, er war ein Emporkömmling, und Mrs. Jenner wollte ihn keineswegs ermutigen, aber es ginge ihr nicht um Mr. Reyne, sondern um Hopes eigenen Ruf. „Merken Sie sich meine Worte, kein Gentleman mag mit einer Dame tanzen, wenn er fürchten muss, von ihr in aller Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden!“
Hope schaute auf ihre Tanzkarte, mit wem sie als Nächstes tanzen würde. Ihr sank das Herz. Mr. Bemerton. Der letzte Mann, mit dem sie tanzen wollte. Hoffentlich verboten es ihm seine guten Manieren, das Thema zur Sprache zu bringen, aber dennoch würde es eine harte Prüfung für sie sein, mit ihm zu tanzen. Vermutlich würde er sie ebenfalls zurechtweisen, und sie erwog kurz, ob sie Kopfschmerzen vorschützen sollte. Sie blickte zu Mrs. Jenner, die ihren Blick unerbittlich erwiderte. Nein, sie würde nicht noch einen Mann ohne Tanzpartnerin lassen dürfen.
Mr. Bemerton kam zu ihr, und zur Abwechslung war seine Miene ernst. Offensichtlich hatte er gehört, was sie seinem Freund angetan hatte. Hope wappnete sich für das Schlimmste, setzte ein gezwungenes Lächeln auf und erlaubte ihm, sie auf die Tanzfläche zu führen. Und wenn er sie fragen
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