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Ein Mann ein Mord

Ein Mann ein Mord

Titel: Ein Mann ein Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Die beiden anderen beobachteten mich mit großen Augen.
    Plötzlich wurde ich wütend. »… damit Sie niemand findet - eine tolle Idee! Larsson hat abkassiert, Sie haben keinem verraten, mit wem Sie sich treffen, und die Polizei ist froh, wenn Sie weg sind.« Die Hände in den Raum werfend schnauzte ich: »Wahrscheinlich werden wir hier alle ersticken!«
    Jetzt weinten auch die beiden anderen Kinder, und spürbare Angst legte sich über die Runde. Selbst der Junge in Jeans sah verstört vor sich hin. Der Traum von einem Leben ohne die Hölle Beirut, Teheran, Colombo oder Istanbul schien sich in Luft aufzulösen. Militär, ermordete Verwandte, Folter und Hunger waren plötzlich gegenwärtig. Einer fing an zu schreien. Der alte Mann schloß die Augen.
    Sie waren geflohen. Sie waren auf zwei Koffern um die halbe Welt gefahren. Sie hatten Anträge gestellt, waren abgelehnt worden, hatten noch einmal beantragt, waren wieder abgelehnt worden, hatten in Ställen gehaust oder zu zehnt auf einem Zimmer. Sie hatten sich versteckt und ohne Papiere gelebt und wollten sich jetzt falsche besorgen. Aus dem Nichts hatten sie dreitausend Mark aufgetrieben - hatten alles versucht, um sich irgendwann sagen zu können: morgen schlafe ich bis in die Puppen, oder bis nächstes Jahr spare ich auf einen Videorecorder, oder am Wochenende saufe ich, bis ich auf allen vieren krieche, und wenn ein Polizist kommt, stehe ich einfach auf und greife nach meiner Brieftasche. Aber sie hatten keine Chance. Abgelehnt heißt abgelehnt. Der Flüchtling, ›in dessen Kulturkreis Folter eine traditionell übliche Vernehmungsmethode ist‹. Der Flüchtling, ›der, wenn er politisch nicht tätig geworden wäre, bei der Heimkehr auch keine Repressalien zu fürchten hätte - und der sich des Risikos seiner Tätigkeit wohl bewußt war‹. Und der ›Wirtschaftsasylant‹, der im Angesicht deutscher Supermärkte zum Schmarotzer erklärt wird, als seien Hunger und Armut für drei Viertel der Erdbevölkerung eine Art ›Menschenrecht‹; das ›Auf-unsere-Kosten‹-Gespenst, obwohl die Kosten seit Jahrhunderten er getragen hat, und der heute nur dahin geht, wo mit dem Reichtum seines Landes ›unsere‹ Fußgängerzonen, ›unsere‹ Fliegerstaffeln und ›unsere‹ Opernhäuser aufgebaut wurden; der ›Parasit‹, als würden Kaffee, Gummisohlen und Erze im bayrischen Wald wachsen. Früher oder später würde man sie alle finden und ins nächste Flugzeug stecken. Aber jetzt schien ihnen nicht einmal das zu bleiben. Während ich mir eine Zigarette anzündete, versuchten die meisten, den schreienden Mann zu beruhigen. Die Mutter zeterte auf arabisch, um dann auf mich loszugehen.
    »Warum machen Sie uns so schlechte Gedanken?!« Und auf die weinenden Kinder weisend: »Sehen Sie, was Sie getan haben!«
    Ich machte den Mund auf, aber es kam nichts. Inzwischen hatten sie den Mann auf eine Bank gelegt. Mit starrem Blick zur Decke und monotoner, atemloser Stimme erzählte er in einem Mischmasch aus Englisch und Tamil von seinem Heimatdorf. Soweit ich verstand, gab es das Dorf nicht mehr, und man hatte ihn gezwungen, irgend etwas mit seiner Tochter zu tun. Die Tochter gab es auch nicht mehr. Er war der einzige Überlebende in seiner Sippe.
    Ich setzte mich zu dem alten Mann. Eine unsichtbare Mauer umgab ihn. Die Arme verschränkt, den Blick auf die Lackschuhe, flüsterte er: »Sie hätten es nicht sagen sollen. Das ist ein Raum mit sehr vielen Menschen. Kein Platz für Angst.« Und nach einer Pause: »Sie halten uns für dumm, aber wir haben keine andere Wahl.« Dann stand er auf, trat durch die hilflos dreinschauende Runde zu dem Mann ohne Dorf und legte ihm die Hand auf die Stirn.
    Ich biß die Zähne aufeinander. War es vielleicht meine Schuld, daß wir hier saßen? Und würde ich etwa nicht mit von der Partie sein, wenn die Luft dünn würde? Sollten sie mir doch alle den Buckel runterrutschen. Ich schloß die Augen, rauchte Kette und hoffte, jemand käme, um mir die Qualmerei zu verbieten, damit ich ihm eine runterhauen könnte. Aber es kam niemand. Jedenfalls nicht so, wie ich dachte.
    Nach der vierten Zigarette hörte ich die erste Sirene. Dann die zweite, die dritte, schließlich ein ganzes Konzert. Sie kamen schnell näher, heulten ein letztes Mal auf und gaben Ruhe. Motorengeräusch, Befehle, Megaphonstimmen, Hundegebell und Schritte; ein Schlüssel im Schloß, die Tür sprang auf. Ich schnippte die Kippe weg und lauschte einem Sack fallender Groschen.
    Der

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