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Ein Mann ein Mord

Ein Mann ein Mord

Titel: Ein Mann ein Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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weiße Plastiktoilette. Wir saßen zu siebzehnt auf eisernen Bettgestellen, graue Decken um die Schultern, rauchten und schwiegen. Die Frauen hatte man einen Raum weiter eingesperrt. Manchmal riefen sie herüber, und jemand von den Männern antwortete. Wie Gespräche Ertrinkender. Seit vier Stunden hockten wir hier; eine Aufseherin hatte Brot gebracht.
    Frankfurter Flughafen, Abschiebehaft. Der nächste Flug nach Beirut ging in vier Stunden. Es war kurz nach drei.
    Ich kauerte neben dem Burschen mit den schwarzen Strichen unter der Nase und betrachtete meine Zigarettenglut. Er hieß Abdallah, kam aus dem Südlibanon und würde in vier Stunden dabei sein. Vor uns auf dem Boden lag ein Landsmann von mir und murmelte Gebete. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, hob den Kopf und erklärte mir irgendwas auf türkisch.
    Abdallah knackte mit den Fingern.
    »Aber vielleicht ist es das Gesetz des Ausgleichs, die Eintracht bleibt oben, und ich steig ab, oder andersrum.«
    »Und wenn du dir ’ne Kugel in ’n Kopf schießt, holt sie den Meister.«
    Seine Zunge schlug gegen den Gaumen und machte schmatzende Geräusche. »Das Schicksal läßt sich nicht lenken.« Und nach einem Blick Richtung Flur: »Trotzdem gibt’s so was wie einen Ausgleich. Zum Beispiel, als ich mein Abitur bestanden habe, lief mir die Freundin weg. Ehrlich wahr.«
    Ich nickte und blies Rauchringe. Meine Gedanken kreisten zum wiederholten Mal um Möglichkeiten, die Leute vorm Abflug zu bewahren. Anwälte, Zeitungen, Kirchenheinis - solange ich nicht telefonieren durfte, weil die Ausländerpolizei glaubte, mich mit der Abendmaschine nach Istanbul schicken zu müssen, war eins so gut wie das andere.
    Ein Rauchring landete genau vor der Nase des Betbruders. Er schaute erneut auf, wedelte wütend mit den Armen und quasselte los, als gäb’s was zu gewinnen. Vielleicht war er Asthmatiker? Ich hob die Schultern und lächelte gequält. Als die Quasselei nicht mehr aufhören wollte und mir das Lächeln wie Zement im Gesicht klebte, fuhr Abdallah genervt dazwischen.
    »Begreifen Sie doch endlich, er versteht Sie nicht. Er ist zwar Türke, aber er spricht kein Türkisch!«
    »Ach ja? Warum? Ist er zu dumm?« Die Oberlippe krümmte sich verächtlich. »Oder schämt er sich?«
    Sein Deutsch war fast einwandfrei, und ich ärgerte mich, ihm vorhin mit so was wie Zeichensprache gekommen zu sein.
    »Ich hab’s nicht gelernt, ganz einfach.«
    »Wie heißt dein Vater?«
    »Was hat der damit zu tun?«
    »Wie er heißt?!«
    »Tarik Kayankaya.«
    Er machte eine Handbewegung, die bedeuten sollte, ›Na bitte‹, und tönte: »Was habe ich gesagt, du bist Türke.«
    »Donnerwetter, und das haben Sie einfach so rausbekommen?«
    »Du verleugnest deine Herkunft!«
    »Wollen Sie nicht lieber noch ’n bißchen beten? Ich hör auch auf zu rauchen.«
    Sein Zeigefinger schnellte vor und blieb zitternd vor meiner Nase hängen. »Morgen abend bist du zu Hause, dann ist es vorbei mit Deutsch spielen!«
    Abdallah spuckte aus. »Na, das ist ja schön. Dann sitzt er im Knast da unten, bekommt drei Mal am Tag eins in die Fresse, aber wenn er in zwanzig Jahren rauskommt, kann er sich in Istanbul ganz alleine auf türkisch ’n Kaffee bestellen.«
    Abdallahs Goldzähne blitzten. Der Betbruder betrachtete ihn von oben bis unten, rümpfte die Nase und zischte: »Ich lasse mich nicht kaufen. Lieber in der Türkei im Gefängnis als hier Asylbewerber.«
    Kaum daß er ausgeredet hatte, gab’s hinter uns Bewegung. Ein Kurde pellte sich aus seiner Decke, schimpfte und stieg über zwei Bettgestelle vor den Vaterlandsschwätzer, wie ein Kerl, der seine Fäuste mehr pflegt als sein Kinn.
    »Was du da redest, ist Scheiße, ganz große Scheiße!« Der Türke antwortete auf türkisch, und irgendwas an seiner Antwort mußte falsch gewesen sein, denn im nächsten Moment krachte er in hohem Bogen gegen die Wand und rutschte an ihr wie ein nasser Sack zu Boden. Aus seiner Nase rann Blut. Ein Raunen ging durch die Zelle. Der Kurde stand wie ein Feldherr in ihrer Mitte und blickte um sich, nach dem Motto, ›wer hat noch nicht, wer will noch mal?‹ Er mußte Bodybuilder oder Zehnkämpfer oder beides sein, jedenfalls schien es ihm Spaß zu machen, irgendwen irgendwohin zu werfen, und wenn es dann noch ein Türke war, um so besser. Er stand einfach so da und lauerte. Zeit genug für den Betbruder, sich an der Wand hochzuziehen und wie besoffen loszutorkeln, bis er erneut vor dem Kurden stand. Wenn man wollte, konnte

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