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Ein Mann ein Mord

Ein Mann ein Mord

Titel: Ein Mann ein Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Einmarsch der Türken ins Oberhessische. Vorsichtig zupfte ich Stoffreste aus der Wunde und hielt den Arm hoch. Dann suchten meine Augen die schweigende Runde ab. Eine Mischung aus Wartezimmer beim Zahnarzt und Bombenschutzkeller.
    Ich räusperte mich. »Ist hier vielleicht eine Sri Dao Rakdee anwesend?«
    Niemand antwortete. Drei Thailänderinnen, die eng beieinander in einer Ecke saßen, veränderten keine Miene. Ehe ich mich von der Überraschung erholt hatte, knurrte ein Bursche mit zwei schwarzen Strichen unter der Nase und jeder Menge Gold im Gesicht »Wer sind Sie?!«
    »Kemal Kayankaya, Privatdetektiv.«
    Es zuckte durch alle Gesichter. Die Kinder warfen keine Murmeln mehr, und mein Samariter rückte ein Stück ab. Wie aus einem Mund kam es von allen Seiten »Polizei?!«
    Ich bewegte leicht den Kopf »Nein.«
    Aufatmen, Pause, nächste Frage. »Bist du auch hier wegen Papiere?«
    Das war die Glitzerfrau.
    »Ich suche einen Herrn Larsson, der vorgibt, gefälschte Ausweise zu beschaffen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie sind hier, weil Sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben?«
    Viele Gesichter strafften sich, andere wandten den Blick von mir ab. Alle taten, als hätten sie damit nichts zu tun. Ich wies zur Tür: »Abgeschlossen?«
    Eine hagere Jeansreklame, gespickt mit Pop-Plaketten und Walkman-Kopfhörern um den Hals, stand auf »Na und? Zum Schutz. Damit uns niemand findet - ist doch total okay.« Und nochmal mit Nachdruck »Echt total okay.«
    »Und wenn Sie tatsächlich niemand findet und man Sie einfach vergißt? Ich nehme an, Herr Larsson, oder wie er immer heißen mag, hat bereits sein Geld?«
    »Und unseren Schmuck hat er auch genommen«, lamentierte die Glitzerfrau, »unseren ganzen Schmuck!«
    »Ach, der Schmuck. Das war nur, weil die meisten nicht genug Geld dabei hatten. Den Walkman, zum Beispiel, konnte ich behalten.«
    Mein Pflegeopa kratzte sich am Kinn.
    »Ist Plastik.«
    Der Jeanstyp warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
    »Wie deine Lacktreter, Großvater. Als wir vor zehn Jahren aus’m Iran raus waren, hab ich so was das letzte Mal gesehen. Du bist total out, Großvater, total out - wofür willst du’n deutschen Paß? Geh zurück nach Ugahugah und pflück Bananen.«
    Der Alte lächelte.
    »Wir sind alle aus demselben Grund hier.«
    »Klar…«, er sah in die Runde, »… nur ich hab nich so’n Schiß wie ihr. Dieser Larsson ist voll in Ordnung. Gestern hab ich mit ihm geredet und ihm gesagt, ich bin Ramin Ben Alam, und wehe, du verarscht uns. Das hat der voll kapiert. Über Kino, Eddy Murphy und so, haben wir uns auch unterhalten.«
    »Sie sind seit gestern hier eingesperrt?«
    »Gestern nachmittag.«
    »Und vorher waren Sie unten in der Villa?« Er nickte.
    »Hat Larsson Ihnen erklärt, warum der Umzug?«
    »Wegen der Nachbarin. Die Alte hat die Polizei angerufen.«
    Ich vergaß meinen zertrümmerten Schädel und lehnte mich vor. »Ach, was?!«
    »Klar. Sag ich doch, zum Schutz.«
    Plötzlich dämmerte mir, warum das Ausländeramt bei meinem Besuch über keine Akte Rakdee verfügt hatte. Überhaupt dämmerte mir einiges. Blieb die Frage, was jetzt passieren würde. Vorsichtig setzte ich mich zurück.
    »Wann sollen Sie die Ausweise bekommen?«
    »Heute abend.« Er strahlte. »Wird ’n Fest. Erst mit der Freundin piekfein essen und dann ab ins MARYLIN.« Er machte ein paar Tanzschritte, wiegte sich in den Hüften und krächzte »I’m bad, I’m bad, I’m bad - yeah…«
    Die Runde betrachtete ihn mitleidig. Plötzlich warf er den Kopf zurück. »Meine Freundin heißt Gabi, Gabi Schminke!«
    Ich trat die Kippe aus. »Hatte Larsson tätowierte Arme?«
    Der Alte neben mir nickte.
    »Und wie sieht der Typ aus, der mich gebracht hat?« Zwei Mädchen unter Kopftüchern kicherten. Ein kleiner Kerl mit Ziegenbart stand auf und beschrieb mit den Armen eine Schrankwand. »Viel Fleisch, viel Bart und besonders viel Geruch.«
    Ich seufzte. Dann sah ich mich um. »Zu essen oder zu trinken hat er Ihnen wohl nichts gebracht?«
    Keine Antwort. Der Ziegenbärtige setzte sich wieder.
    »Und wenn er auch heute abend nichts bringt? Wenn er überhaupt nie mehr kommt…?«
    Die Blicke wandten sich zu Boden. Ich stand auf, schwankte zur Tür und prüfte, ob sie aufzubrechen sei. Aber ebensogut hätte man den Versuch unternehmen können, die Wand einzutreten. Als ich mich umdrehte, hingen die Kinder am Schoß ihrer dicken Mutter. Eins weinte. Das Gesicht war von Bunkerdreck und Tränen völlig verschmiert.

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