Ein Mann für alle Fälle
reingeraten?“
„Gio ist auch ein Onkel von Mabel. Er konnte Armand nicht leiden, teils wegen Mae und teils weil …“, Mitch blätterte in dem Tagebuch von 1978, „… Armand ihn um mehr als eine viertel Million Dollar geprellt hat.“
Newtons Gesicht nahm den strengen Ausdruck seiner puritanischen Vorfahren an. „Das war nicht sehr nett.“
„So war Armand.“ Mitch schüttelte den Kopf. „Außerdem hat er seine Geliebte mit einer anderen Frau betrogen und, und, und. Mit einem Wort, er hat sich im Laufe seines Lebens mehr Feinde als Freunde gemacht.“ Er sah Newton an. „Newton, du hast mir doch schon mehrmals deine Hilfe angeboten. Tu mir einen Gefallen und lies dir diese Tagebücher durch, vielleicht fällt dir noch was dazu ein.“
Newton zögerte einen Moment. „Wenn du meinst, dass es dir weiterhilft“, gab er dann nicht gerade begeistert zurück.
„Es ist für einen guten Zweck“, tröstete Mitch ihn. „Ach ja, noch etwas. Das letzte Tagebuch ist verschwunden.“
„Ach.“
„Ja.“ Mitch nahm das Tagebuch von 1993 zur Hand. „Und ich habe das Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt, Newton. Ich weiß nur noch nicht, was. Mabel verheimlicht mir etwas. Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie mich belügt.“
Als Mitch am nächsten Morgen zu seinem Wagen kam, waren alle vier Reifen aufgeschlitzt. Er rief den Abschleppdienst an, seine Versicherung und die Polizei. Dann wählte er Maes Nummer. Als er Maes Stimme hörte, rieselte ihm ein wohliger Schauer über den Rücken. Vergiss es, befahl er seinem Körper, der sich weigerte, sich von seinem Verstand Zügel anlegen zu lassen.
„Irgendjemand scheint das dringende Bedürfnis verspürt zu haben, meine Reifen aufzuschlitzen“, sagte Mitch ohne Einleitung.
„Mr. Peatwick?“
„Nennen Sie mich Mitch, Mabel. Es klingt freundlicher. Sie müssen mich abholen.“
„Alle vier Reifen?“
„Ja. Ich habe einen sechsten Sinn für solche Dinge, und ich gehe jede Wette ein, dass Ihr reizender Cousin Carlo hinter der Sache steckt. Anscheinend hat er nicht auf Sie gehört, als Sie ihm ans Herz legten, mich in Ruhe zu lassen.“
Er hörte am anderen Ende der Leitung einen Seufzer, der ihn zwang, seinen Körper ein weiteres Mal zur Ordnung zu rufen. „Ich bezahle Ihnen die Reifen.“
„Danke, das ist nicht nötig. Ich bin versichert. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt kommen und mich abholen würden.“ Er erklärte ihr den Weg und wartete, bis sie sich alles genau notiert hatte.
„Hm … Mr. Peatwick?“
„Mitch.“
„Das ist doch in Overlook, wenn ich das richtig sehe, oder?“
„Ganz genau.“
„Oh. Keine sehr vertrauenerweckende Gegend.“
„Bevor Ihr Cousin hier aufgetaucht ist, war es eigentlich gar nicht so übel.“
„Ich bin gleich da.“
„Vielen Dank“, gab Mitch zurück, doch sie hatte bereits aufgelegt.
Als Mae in ihrem braunen Mercedes vorfuhr, stand Mitch bereits schwitzend in der heißen Morgensonne vor dem Haus, in dem er wohnte. Er erschien ihr größer und kräftiger, als sie in Erinnerung hatte. Wieder fiel ihm diese widerspenstige blonde Locke ins Auge, während er seelenruhig an der rußgeschwärzten Hausmauer im hässlichsten Stadtteil der Stadt lehnte und durch nichts zu erkennen gab, dass ihn seine Umgebung womöglich deprimierte.
Nachdem er eingestiegen war, hielt er die Hand vor die Klimaanlage, die erfrischend kühle Luft in den Wagen blies, und sagte anerkennend: „Toller Schlitten, wirklich“, woraufhin Mae schulterzuckend zurückgab: „Ich hasse die Kiste.“ Seine Frage nach dem Warum blieb unbeantwortet.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, wie er sie musterte, dann kurz die Augen schloss, sie wieder aufmachte und sich anschließend bequem in seinen Sitz zurücklehnte. „Hübsch sehen Sie aus heute.“
Mae schaute an sich hinunter auf ihr leichtes bunt geblümtes Sommerkleid. „Danke.“ Im Vergleich zu gestern sah sie heute doch ziemlich anders aus. Gereizt registrierte sie, wie sehr sie sich spontan darüber freute, dass sie ihm unverkleidet mindestens ebenso gut gefiel wie gestern als Vamp. Schnell verdrängte sie den Gedanken. Es war vollkommen unwesentlich, was Mitchell Peatwick mochte oder was ihm missfiel. Zurück zum Geschäft.
„Das mit Ihren Reifen tut mir wirklich leid“, begann sie.
„Kein Problem.“
Sie fuhren an einem parkenden Auto vorüber, an dem sich gerade ein ausgemergelter Jugendlicher mit einem Brecheisen zu schaffen machte.
„Soll ich
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