Ein Mann - Kein Wort
Unzufriedenheit, des Ärgers oder der Frustration bezüglich des Partners oder der Partnerschaft kommt. Das darf auch sein – ja, das muss sogar sein! Kein Mensch ist schließlich fehlerlos, kein Mensch macht alles richtig, kein Mensch erlebt sich selbst so, wie das Gegenüber ihn erlebt. Deswegen ist jeder auf kritisch-ehrliche Rückmeldungen vom anderen angewiesen, besonders von seinem Nächsten. Doch wo Menschen alle Kritik, allen Tadel, alle Vorwürfe oder Angriffe nur stillschweigend schlucken und hinnehmen, anstatt sich ihrerseits kritisch damit auseinanderzusetzen, besteht die Gefahr, dass sie sich dabei irgendwann über-nehmen, d.h. an ihre eigenen Belastungsgrenzen kommen. Damit ist eine weitere Gefahr verbunden: dass sich in ihnen ein ungeheurer Vorrat an unterdrückter Wut, Enttäuschung oder Trauer anstaut, der irgendwann explodieren oder implodieren kann. Im Fall der Explosion richtetsich der angestaute Druck nach außen, gegen die Umwelt (vgl. den Ausdruck »platzen vor Wut«), im Fall der Implosion richtet er sich gegen die eigene Person, es sei auf körperlicher oder seelischer Ebene (z.B. in Form von psychosomatischen oder psychischen Krankheiten).
Doch weshalb fällt es uns selbst – oder gerade – in unseren engsten Beziehungen oft so schwer, dem Positiven genauso viel Gewicht in unserer Wahrnehmung und genauso viel Raum in unseren Gesprächen und Rückmeldungen zu geben wie dem Negativen? Aus biologischer und psychologischer Sicht kann man sagen: Der Körper, aber auch die Seele sind darauf programmiert, immer nur dann Alarm zu schlagen, wenn sich etwas
gegen
ihre Bedürfnisse richtet, sprich: wenn etwas sie in ihrem Wohlbefinden oder ihrer Funktionstüchtigkeit aufs Empfindlichste bedroht. Wenn dies
nicht
der Fall ist und alles in Ordnung ist, senden weder der Körper noch die Seele irgendwelche »Wohlfühlsignale«.
Ein Beispiel: Wenn wir frieren, sorgt das Gehirn dafür, dass wir uns an diesen Zustand nicht gewöhnen, weil er lebensgefährlich für uns ist. Wir empfinden deshalb permanent das unbehagliche Gefühl des Frierens. Sobald wir endlich ins Warme kommen, gibt das Gehirn noch ein kurzes Lustsignal: »Ah, wie schön, Wärme umfängt mich!«
Doch dann tritt ungeheuer schnell der Zustand der Gewöhnung ein, der darin besteht, dass wir die angenehme Wärme nach kürzester Zeit nicht mehr bewusst wahrnehmen. Das Gehirn kann sich dadurch wieder auf anderes konzentrieren. Das Gleiche geschieht, wenn wir hungrig sind: Der Körper erinnert uns unablässig – zur Not über Stunden, ja, Tage und Wochen – daran, dass wir dringend etwas essen sollten, denn das sichert unser Überleben. Doch
wenn
wir dann zu essen bekommen oder gegessen haben, signalisiert er uns nur kurz lustvolle Erleichterung (»Endlich!«; »Es schmeckt köstlich!«), gefolgt von einem Entwarnungssignal: »Ich bin satt – alles in Ordnung!« Wir sitzen deshalb in der Regel nicht stundenlang nach einem Essen noch da und sagen voller Behagen: »Ach, wie wunderbar, dass ich wieder essen durfte und satt bin!« Mankann dieses konsequente Sparprinzip des menschlichen Gehirns beklagen 69 – es ändert aber nichts an den Tatsachen.
Genau das Gleiche geschieht – leider! – auch auf geistig-seelischer Ebene: Ein emotionaler oder kognitiver Mangelzustand (z.B. Langeweile, Einsamkeit, Enttäuschung, Traurigkeit) wird von uns sehr bewusst wahrgenommen, doch die Behebung des Mangels verliert schon nach kurzer Zeit ihren »Belohnungswert«, d.h., sie wird nicht mehr bewusst als höchst beglückend erlebt.
Sehr anschaulich kommt dies in einer schwäbischen Anekdote zum Ausdruck: Ein einsamer alter Junggeselle findet schließlich doch noch eine Frau und heiratet. Als er einige Zeit danach einen Freund trifft, der immer noch ledig ist, fragt ihn dieser neugierig, aber auch etwas neidvoll: »Und, wie ist das jetzt für dich, verheiratet zu sein?« Worauf der Gefragte antwortet: »Na ja, ledig sein ist halt auf die Dauer auch nicht das Wahre.« In dieser Antwort wird deutlich, dass dem Ehemann offensichtlich schon nach kurzer Zeit eine ganze Menge Nachteile seines neuen Familienstandes aufgefallen sind. Nachteile, welche die große Freude, nun nicht mehr allein zu sein, schon gewaltig gedämpft haben. An das Gute gewöhnt man sich eben verflixt schnell, auch in Partnerschaften, während man sich am weniger Guten unablässig reibt. All das Angenehme, das die Gegenwart und Zuneigung der anderen Person verkörpert und mit sich bringt,
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