Ein Mann - Kein Wort
Gesprächspartner zurück, bevor sie einander antworten? Wollen sie den anderen so genau wie möglich verstehen, bevor sie etwas darauf erwidern?
Sie werden feststellen: Dies ist eher selten der Fall. Nicht zwischen Gästen in Fernsehdiskussionsrunden, nicht zwischen Bekannten, Nachbarn, Kollegen, leider auch oft nicht zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Partnern.
Warum aber praktizieren wir nicht einmal im Gespräch mit den uns wichtigsten Menschen diese Kultur des Rückfragens? Bei ihnen sollten wir ja ein besonders großes Interesse daran haben, dass unsere Gespräche und Diskussionen erfreulich und befriedigend verlaufen, denn Lebensqualität ist Beziehungsqualität!
Folgende Gründe sind zu vermuten:
Bei vertrauten Menschen ist die Annahme: »Ich weiß genau, was du meinst und wie du es meinst!« besonders ausgeprägt, schließlich hat man viele Erfahrungen miteinander gemacht.
Gerade nahestehende oder für uns besonders bedeutsame Menschen können uns mit ihren Äußerungen besonders leicht verletzen oder verunsichern. Diese Personen sind schließlich für unser Selbstwertgefühl und damit für unsere psychische Stabilität enorm wichtig. Deshalb haben wir große Angst davor, dass ausgerechnet sie uns angreifenoder infrage stellen. Wenn sie es dennoch tun, was – wie schon ausgeführt – in einer verbindlichen Beziehung hin und wieder einfach notwendig ist, so bringt uns dies augenblicklich in eine innere Anspannung, die umgehend starke Emotionen in uns auslöst: Angst, Wut, Empörung, Scham, das Gefühl des Gedemütigtseins, Entmutigung, Verunsicherung, Rachegefühle usw. – Der Sinn von Gefühlen ist es, den Menschen zu blitzschnellem Reagieren zu bewegen. Denn allzu langes Nachdenken könnte ihn – man denke nur an den Fall einer echten körperlichen Bedrohung! – das Leben kosten. (»Ist das jetzt eine giftige oder ungiftige Schlange, die vor mir im Gras liegt?« – »Ist das jetzt ein schnelles oder ein langsames Auto, das da auf mich zufährt?«)
Wer rückfragt, dem gelingt es, auf der Sachebene zu bleiben. Sobald wir eine Äußerung des Partners jedoch als Angriff auf unsre Sicherheit interpretieren – und dazu gehört auch: auf unsere Selbstsicherheit –, geraten wir
unverzüglich
in einen Zustand emotionaler Erregung. Diese Anspannung führt dazu, dass das sachlich-klare, logisch-analytische Denken der höheren Gehirnregionen vorübergehend lahmgelegt wird bzw. aufs Empfindlichste beeinträchtigt ist. Die Sachebene wird blockiert, die Emotionen übernehmen sozusagen das Steuer.
Deshalb werden wir, sobald wir uns in einer Kommunikation angegriffen und in unserer (Selbst-)Sicherheit bedroht fühlen, die Sachebene stehenden Fußes verlassen,
ohne dass uns dies bewusst ist
. Auf der Sachebene zu bleiben würde hingegen die Fähigkeit erfordern, emotional entspannt sein zu können oder seine Angst- oder Wutgefühle unter Kontrolle zu haben, sprich: sie zu beherrschen, um nicht von ihnen beherrscht zu werden. Nur wenn dies gelingt, können wir den ersten Impuls – mit »Schlagfertigkeit« (Verteidigung, Gegenangriff etc.) oder Rückzug zu reagieren – unterdrücken und stattdessen sachlich und gelassen bleiben.
Die beste Möglichkeit, gelassen zu bleiben, bietet meines Erachtens – sozusagen als Brücke über den reißenden Strom unserer Emotionen – das konzentrierte Nach- oder Rückfragen an
.
Es hat den Vorteil, die Verletzungsgefahr in der Kommunikationradikal zu reduzieren. Darüber hinaus bietet es die Chance, dem Gegenüber bei aller Verschiedenheit in Wesen und Ansichten deutlich zu machen, dass man ihm mit Aufgeschlossenheit und Respekt begegnen möchte. Wir alle sind darauf angewiesen, dass wir einander im Gespräch jenen Raum geben, den wir brauchen, um unsere Gefühle zu erkennen und zu benennen, um unsere Gedanken in Worte zu fassen und zu entwickeln. 77
An dieser Stelle muss – neben dem Rückfragen – eine weitere unabdingbare Voraussetzung angesprochen werden, damit Gespräche nicht schon im Keim dadurch erstickt werden, dass man sich gegenseitig an-greift statt an-nimmt oder ab-wertet statt wert-schätzt. Es ist die Erkenntnis:
Es gibt nicht »die richtige« und »die falsche« Meinung, Ansicht oder Einstellung
.
Natürlich gibt es Fakten, die entweder richtig oder falsch sein können. Entweder ist Frühlingsanfang am 20. März oder am 21. März, beides kann nicht stimmen. Doch diese Eindeutigkeit gilt nur für nachprüfbares Sachwissen. Alles, was nicht
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