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Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
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gerade sprach, ehrlich, ich lüge nicht gern, und ich mag es überhaupt nicht, wenn ich den Überblick über ein Paralleluniversum behalten muss, das es gar nicht gibt, aber in dem Moment hatte ich keine Lust, Scott zu sagen, dass ich mit der Bibel überhaupt nicht weiterkam, ich wollte Scott nicht enttäuschen, ich wollte die Bibel verstehen. Aber wie ich vorhin schon mal gesagt habe, Scott war ein Denker.

    Scott wartete, bis ich mich auf den Weg machen wollte, ich war in der Bibel nicht sehr viel weiter gekommen als bis dahin, wo ich angefangen hatte. Er bat mich, zu ihm ins Büro zu kommen, das mich in mancher Hinsicht an Rogers Chefbüro im Fastfood-Restaurant erinnerte, ich meine, es war ungefähr genauso groß oder vielmehr klein, außer dass es statt unordentlich und voller Stapel ordentlich und aufgeräumt war. Scott saß auf seinem Stuhl, den man glaube ich verstellen konnte, aber er war auf ganz gerade gestellt. Seine kurzen Arme schoben einen Computerbildschirm zur Seite,
so dass wir uns anschauen konnten. Ich hatte Panik, dass er jetzt über Hiob reden wollte, ich hatte das Gefühl, ich wäre bei einer Lüge erwischt worden, dabei hatte ich eigentlich gar nicht gelogen, die Lüge hatte sich auf mir niedergelassen, wie eine Taube. Er sagte mir, wie froh er über meine Hilfe in der Leuchtturmgemeinde war, wie viel mein Enthusiasmus ihm bedeutete, dass ich trotz der kurzen Zeit, die ich erst dabei war, schon Teil der Familie geworden war, vor allem dank meiner Freundlichkeit und meiner das Kriegen-wir-hin-Einstellung. Er dankte mir für all die Glühbirnen, die ich ausgewechselt hatte, und entschuldigte sich, dass man meine Körpergröße ausnutzen würde, weil ich ja mit Abstand der größte in der Gemeinde war. Er kam dann zum Wesentlichen, seine Worte, er wollte mir als Zeichen seiner Dankbarkeit und Anerkennung etwas schenken. Ich ließ ihn wissen, dass es mir Spaß machte, hilfreich zu sein, ich brauchte nichts. Er gab mir einen Kassettenrekorder. Ich dankte ihm, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er sagte, in einem Moment würde ich das Geschenk verstehen. Er machte einen Aktenschrank auf und holte einen großen Ordner mit Reißverschluss hervor, wie ihn vielleicht ein Geschäftsmann mit sich rumträgt, und legte ihn vor mich auf den Schreibtisch. Ich machte den Reißverschluss auf und schaute hinein: ein Dutzend Plastikseiten mit vier Kassetten auf jeder Seite. Ich wusste nicht, wofür sie waren, ich zählte sie bestimmt eine Minute lang und wartete darauf, dass Scott wieder anfing zu reden. Er sagte mir, dass es die King-James-Bibel war, Altes und Neues Testament, mit Musik und atmosphärischen Klängen. Er sagte nichts davon,
dass ich kein guter Leser war, er sagte nichts davon, dass ich wahrscheinlich auf Tonband durch die Bibel käme, aber nicht auf Papier, er sagte gar nichts darüber, wie gut ich lesen konnte oder eben nicht. Nichts auf der Welt wäre für ihn einfacher gewesen, da mir das Lesen offensichtlich schwerfiel, sollte ich die Bibel lieber auf Tonband hören, es wäre vollkommen natürlich gewesen, das zu sagen, aber Scott sagte das nicht. Ich wusste damals noch nicht, dass die Leuchtturmgemeinde eine Brutstätte philosophischer und spiritueller Perversität war, ich wusste noch nicht, dass, während ich versuchte, gläubig zu sein, während ich versuchte zu verstehen, ich das einfach nicht sein konnte und nie wirklich verstehen würde. Aber ich will, dass du weißt, ungeachtet seiner Überzeugungen, ganz unabhängig von seinen Überzeugungen, war Scott Valdez nicht bloß nett zu mir, sondern auf eine Art und Weise liebenswürdig und freundlich, zu der Nachdenken und Fantasie gehörten, er hatte sich einen Moment Zeit genommen, sich die Welt durch meine Augen vorzustellen, und er hatte gesehen, dass mein Talent das Quatschen ist und nicht das gedruckte Wort, diese Einsicht hatte er gewonnen, und dann hatte er entsprechend gehandelt, ohne das es dabei um einen Triumph ging. Er war nicht daran interessiert, mit seiner fabelhaften Wahrnehmung anzugeben, er war nicht daran interessiert, sich mal kurz in meine Lage zu versetzen und sich dann schnell wieder rauszuversetzen, es war ihm wichtiger, mir dabei zu helfen, das zu erreichen, was ich zu erreichen versuchte, und zu dieser Zeit war das, die Bibel zu lesen.

    So begann also meine religiöse Bildung. Es war nicht der Wunsch deines Großvaters, dass ich eine religiöse Bildung erhalten sollte, er fand immer, dass die Religion ihm

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