Ein Mann von Welt
Welt werden konnte. Und außerdem sehnte ich mich nach Carmen, ich musste immer wieder an die Blumen denken, die sie mir gebracht hatte, als dein Großvater starb.
TEIL SECHS
Kassette 9, Seite b
Kassette 10, Seite a
OPPEN
Ich reiste vom Busbahnhof in North Hollywood ab, alles sah genauso aus wie vor vierzig Tagen. Tante Liz wünschte mir Glück, sie umarmte mich, sie ermahnte mich, sie anzurufen, wenn ich irgendetwas brauchte, ich dankte ihr nochmals für ihre Gastfreundschaft, ich versprach, sie auf dem Laufenden zu halten, und hoffte, dass sie mich mal besuchen würde. Ihr Essen würde mir bestimmt fehlen, sagte ich, das war nicht alles, was mir fehlen würde, aber ich wusste, wie stolz sie darauf war, für mich zu kochen, für jemanden zu kochen, der noch im Wachstum war, ihre Worte, obwohl ich doch schon vor Jahren mit dem Wachsen aufgehört hatte. Ich holte meinen Lederkoffer aus dem Kofferraum des Tempo, der Busfahrer nahm ihn mir ab und warf ihn in den Gepäckraum, es war ihm egal, wie die Koffer da drin gestapelt waren, er schaute sich meine Fahrkarte gar nicht an, er wirkte, als wäre er lieber woanders, aber sobald wir losgefahren waren, erwies er sich als hervorragender Busfahrer, sein Fahrstil war flüssig und präzise. Ich saß allein in der ersten Reihe und schaute zu, wie die Stadt immer dünner wurde, bis wir anfingen, durch Grapevine zu fahren, dann sah ich das Steigen und Fallen der Stromleitungen und schlief ein.
Der Bus schaukelte und ich wachte mitten im Central Valley auf, goldene Gräser und Äcker auf beiden Seiten, Autos und Trucks und Busse reihten sich in zwei ordentlichen Reihen
bis zum Horizont auf. Ich holte mein klappbares Fernglas aus der Rasierzeugtasche deines Großvaters, aber selbst mit diesen starken Linsen konnte ich nicht ausmachen, warum unsere Seite der Autobahn blockiert war. Ich hatte erwartet, oder gehofft, oder mir irgendwie gewünscht, ohne groß darüber nachzudenken, dass ich, nachdem ich in der Nähe von Grapevine eingeschlafen war, mitten in Madera aufwachen würde, aber das sollte nicht sein, Juan-George. Wir fuhren abrupt an und stoppten, fuhren an und stoppten. Die Stromleitungen am Straßenrand machten keinen Rhythmus, zu dem man einschlafen konnte. Ich blickte mich um, ob es Sehenswürdigkeiten gab, aber die Landschaft schien mehr dazu geeignet, dass man schnell an ihr vorbeifuhr, als dass man sie genau betrachtete. Das hatte natürlich nichts mit dem zu tun, was man durchs Fenster sehen konnte, sondern mit dem, was ich im Kopf hatte, Juan-George, und das war Paul Renfro. Seine Papiere überall, die bunte Lichterkette für den Weihnachtsbaum, sein auf links gedrehter Anzug. Wie er Ketchuppäckchen in seinen Mund ausgedrückt hatte und die Fritten verschlang. Der Aktenkoffer aus Pappe, die Stecknadeln, die ausgestopften Socken. Ich versuchte, mich auf die Standspur zu konzentrieren, ich versuchte, meine Gedanken dem zuzuwenden, was direkt vor mir lag, aber manchmal, wenn etwas direkt vor dir ist, sogar wenn es direkt auf dich zukommt, wäre dein Kopf, oder was in deinem Kopf drin ist, lieber ganz woanders, und mein Kopf wollte aus irgendeinem Grund hunderte von Meilen weit weg sein. Umgeben von Balken und Isoliermaterial, im Schädel von Tante Liz' Haus. Dann dünnte sich der Verkehr auf eine merkwür
dige Art aus, die Abstände zwischen den Autos wurden größer, ohne dass es weniger Autos zu geben schien. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu, ich wollte sehen, was die Ursache dafür gewesen war, dass wir seit fast einer Stunde immer wieder anfuhren und stehen blieben, aber da war nichts. Wir fuhren ein letztes Mal an, blieben wieder stehen, und beschleunigten dann ganz bequem auf Autobahntempo. Ich fragte den Fahrer, was passiert war, vielleicht hatte ich etwas verpasst. Er zuckte mit den Schultern und sagte, Zufall. Da wünschte ich, Paul hätte neben mir gesessen, Paul hätte dem Fahrer ordentlich die Meinung gegeigt, wie man so sagt. Der Begriff Zufall ist eine weiße Fahne der Kapitulation, Pauls Philosophie, nur Feiglinge und Verlierer verwenden sie. Ein Phänomen als Zufall zu bezeichnen bedeutet, seine eigene Unwissenheit kundzutun und auch noch stolz auf die eigene Unwissenheit zu sein, Pauls Worte, indem man fälschlicherweise die Fruchtlosigkeit weiterer Nachforschungen prophezeit. Andererseits machte der Fahrer seine Arbeit gut, er fuhr den Bus geschmeidig und präzise, und zwar genau deshalb, weil er sich nicht für die Früchte
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