Ein Mann von Welt
weiterer Nachforschungen interessierte, meine Philosophie. Seine Unwissenheit, wie Paul es genannt hätte, war in Wahrheit ein Instrument. Wir können nicht alle die ganze Welt verdauen, Juan-George, manche von uns brauchen weiße Fahnen. Selbst Paul wusste das. Ich erinnere mich daran, wie die Polizei ihn abführte, wie Paul in Handschellen an mir vorbeiging und jedes Mal, wenn er mit dem verletzten Knöchel auftrat, das Gesicht verzog. Ich hatte nach wie vor zu erklären versucht, dass er ein
von mir eingeladener Gast unter Tante Liz' Dach war, dass er hier willkommen gewesen war, dass sie ihn nicht verhaften durften. Paul sagte, ich bräuchte für ihn kein Plädoyer mehr zu halten, dass ich mit diesen Leuten, mit der Polizei, meinen Atem verschwendete, dass Kleingeister nicht verändert werden könnten. Er sagte, die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns nicht wiedersehen würden, wäre ziemlich hoch, und er wollte diesen Augenblick, bevor diese Barbaren ihn wegzerrten, nutzen, er wollte mir dafür danken, dass ich heroisch und nobel gehandelt hätte, um einem Denkerkollegen beizustehen, und das alles im Dienste der gemeinsamen Anstrengung, die Menschheit vor ihrer eigenen Dummheit zu retten. Es war nicht fair, sagte ich, es war nicht richtig, was sie da mit ihm machten. Paul schaute mich mit seinem Lächeln eines frisch geschlüpften Krokodils an und sagte, Oppen, mein Freund, hör zu, das ist der Lauf der Welt, wer zuletzt lacht, muss vorher das Gelächter der anderen aushalten. Dann brachten sie ihn weg.
Ich war der einzige Fahrgast, der in Madera ausstieg. Der Fahrer zerrte meinen Koffer aus dem Stauraum und ließ ihn mir vor die Füße fallen, dann ging er ohne ein Wort wieder an Bord. Ich stand auf dem baumgesäumten Bürgersteig und schaute zu meinem Lederkoffer auf den Gehwegplatten hinunter. Die Luft roch nach gerösteten Mandeln und fermentierten Trauben. Durch das Bürofenster der Taxizentrale konnte ich dieselbe Frau sehen, die ich gesehen hatte, als ich nach Panorama City abgereist war, sie saß in derselben Position und aß Suppe, während sie telefonierte, es war,
als wäre keine Zeit vergangen und als würde sie auch nie vergehen. Dann rief mich jemand bei meinem Namen. Oppen, nicht Mayor. Oppen. Hinter der Reihe von Autos, die schräg geparkt waren, sah ich eine Person oder ich sollte sagen, ich sah die Haare und Sonnenbrille einer Person, die Haare standen in alle Richtungen ab, es war Mary, die Polizistin. Sie kam zwischen den Autos hervor, winkte und umarmte mich herzlich, ihre Dienstmarke hing von ihrem Hemd runter, als hätte sie Magneten in den Schuhen. Sie erzählte, dass Tante Liz sie angerufen hatte, und da ich jetzt zurück in der Stadt wäre, ihre Worte, wäre es das mindeste, was sie tun konnte, mich vom Busbahnhof nach Hause zu bringen. Madera wäre nicht das Gleiche ohne mich, sagte sie. Was für ein Zufall, sagte ich, ich war auch nicht derselbe ohne Madera. Wir stiegen in Marys Polizeiauto ein, ich stellte meinen Koffer auf den Rücksitz – so, wie das alle hier machen. Nach Panorama City zu fahren hatte sich angefühlt, wie in eine Rakete einzusteigen, um auf einen anderen Planeten zu fliegen. Nach Madera zurückzukommen fühlte sich an, wie wenn man merkt, dass man den Planeten gar nicht erst verlassen hat.
Als wir zum Haus kamen, bemerkte ich zwei Dinge sofort. Erstens waren keine Reifenspuren mehr im Gras, wo der kleine Bagger und der Lastwagen durchgefahren waren. Die Natur hatte ihren Teil wieder zurückgefordert. Und zweitens war der Briefkasten leer. Ich hatte erwartet, dass er vollgestopft sein würde. Jetzt war ich ganz froh darüber. Allerdings nur für einen kurzen Moment. Denn ich hatte riesige Men
gen an Sendungen erhalten, aber die waren dank Wilfredo alle noch auf der Post und wurden später komplett durchgesehen mit der unschätzbaren Hilfe von Mary, der Polizistin. Es gibt eine Welt der Papiere und Formulare, Juan-George, ein Paralleluniversum hätte Paul Renfro es vielleicht genannt, wo jedem Moment im Leben eines Menschen ein Stück Papier zugewiesen wird, Papier, das einzig und allein zu dem Zweck existiert, dass etwas, das für alle Beteiligten offenkundig ist, auch Unbeteiligten vollkommen klar wird. Ohne die Hilfe von Mary, der Polizistin, hätte ich mich in dieser Welt für immer verlaufen.
Ist es so, dass Staub zwar ins Haus reinkommt, aber nicht wieder heraus? Oder ist es so, dass wenn eine Weile keine Leute da sind, sich der Staub, der sowieso schon in
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