Ein Mann wie ein Erdbeben
auszog und nicht ihm.« Bob hieb die Fäuste aneinander. Hellmut, dachte er. Der tapfere, gute, edelmütige Hellmut mit dem Bernhardinerblick. Der Stille im Land, dem die Goldtaler von selbst in den Schoß fallen. Der widerliche Kerl mit seiner Dackeltreue. »Und Mama?« fragte er mit belegter Stimme. »Mama muß doch über ihren Anteil bestimmen. Ihr gehört die Hälfte und damit logischerweise wiederum mir als einzigem Kind, wenn sie nicht mehr ist.«
»Ihre Frau Mutter hat gestern die Schenkung unterschrieben.«
Bob sprang auf. »Sie ist krank!« schrie er. »Onkel Theo, dieses Aas, hat ihre Krankheit ausgenutzt. Ich fechte die Unterschrift an.«
»Auch daran ist gedacht worden. Professor Dr. Nußemann hat gegengezeichnet und bescheinigt, daß Frau Mathilde Barreis im vollen Besitz ihrer körperlichen und geistigen Kräfte –«
»Scheiße besitzt sie. Scheiße im Hirn! Nußemann ist eine Marionette, ein Sklave, ein Honorareinsammler. Jeder kennt meine Mutter. Sie ist nur für dreierlei zu gebrauchen: zum Weinen, zum Beten und zum Moralpredigen. Daß sie mich empfangen hat, muß damals ein Ausrutscher meines Vaters gewesen sein, der zufällig bei ihr die richtige Stelle traf. Verdammt, ich fechte das Papier an.«
»Als Anwalt der Familie Barreis muß ich sagen: Es hat keinen Sinn. Die Schenkung und Enterbung sind gültig. Alles ist juristisch abgesichert.«
»Und ich?«
»Sie bekommen ein Legat, das Herr Hansen festsetzen soll. Es wird so bemessen sein, daß Sie den Werken nicht schaden.«
»Hellmut wird also in Zukunft meinen Lebensstil bestimmen?«
»Soweit dieser von Geldern der Barreis-Werke abhängt – ja.«
»Wieder ein Fehler, ein Fehler von mir. Man ist zu anständig, Doktor, trotz allem! Ich hätte vor ein paar Wochen Eva Kottmann, Hellmuts Mieze, vögeln sollen. Ich hab's nicht getan, in einem wahnsinnigen Anfall von Kameradschaft. Das hat man nun davon.«
»Ihre Stellung beim Bankhaus Keitell und Klotz ist sofort gekündigt. Sie bekommen noch ein Vierteljahr Gehalt.«
»Stiften Sie es für eine Abtreibung.«
»Nicht so nobel, Bob. Sie werden jeden Pfennig nötig haben.«
»Noch ein Tritt Onkel Theodors in meinen Unterleib?«
»Wenn wir den Prozeß durchstehen – und einen Prozeß wird es geben, trotz aller Parteimaschen, die Herr Haferkamp aufzieht, er kann damit glätten, aber nicht das Gesetz manipulieren –, sollen Sie Vredenhausen verlassen.«
»Also auch kein Wohnrecht mehr? Keine Heimat?«
»Nun beginnen Sie nicht zu schluchzen, Bob. Hat Ihnen Heimat jemals etwas bedeutet?«
»Ja. Gucken Sie mich nicht wie einen Wunderaffen an, Doktor. Ich habe einen anderen Heimatbegriff als die meisten. Ihre Generation hat Hoch und Heil gebrüllt, die Heimat, die heilige, mit der Waffe verteidigt, indem ihr angegriffen und fünfundfünfzig Millionen Tote hinterlassen habt, Heimat, die Fahne, die mehr ist als der Tod und weiter so 'n Quatsch … nein, das ist nicht meine Heimat, solch ein verdrehter Begriff. Aber ich hänge an Vredenhausen, komisch, was? Ich liebe den Park hinter unserem Haus. Nicht, weil ich dort vier Mädchen im hohen Gras vögelte, sondern weil ich als Kind in diesem Park die glücklichsten Minuten meines Lebens hatte, wenn ich allein, ohne Aufsicht durch irgendeine Kinderschwester, herumlaufen konnte, mit einem Ast die Vögel aufscheuchte und mich frei fühlen durfte, frei von allem Zwang, aller Bemutterung, aller Watte, in die man mich packte wie Ramses, die Mumie. Ich hänge an diesem Haus, so pompös und blöd gebaut es auch ist, so protzenhaft und überladen mit Kitsch. Verflucht, ich liebe es … und jetzt wirft man mich hinaus wie einen stinkenden Hund.« Bob blieb stehen, ruckartig, so nahe an Dr. Dorlach, daß dieser den Kopf weit in den Nacken legen mußte. »Doktor, die Sache mit Renate leugne ich. Ich war's ja auch nicht. Aber man zwingt mich, ein Mörder zu werden. Ich werde Onkel Theo und meinen lieben Freund Hellmut umbringen. Irgendwann. Und mit Treffsicherheit. Das können Sie sich notieren, ich weihe Sie ein in meinen Plan. Sie müssen als Anwalt ja schweigen. Sie alle da draußen betrachten mich als Ungeheuer … wohlan, sie sollen in mir das Ungeheuer haben!«
Bob Barreis trat an die Tür und drückte auf den Klingelknopf. Sofort trat der draußen wartende Wärter ein.
»Ich möchte in meine Zelle. 114 ist ein Paradies gegen die übrige Welt.«
»Bob!« Dr. Dorlach sprang auf. Er war etwas bleich geworden. »Wir sind noch nicht fertig.«
»Ich bin
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