Ein Mann wie ein Erdbeben
Vorsichtsmaßnahme … der inhaftierte Bürger bleibt ein unbescholtener Bürger, bis ihm seine Schuld nachgewiesen ist. Die Praxis hat bewiesen, daß viele Unschuldige schon in einer Zelle gesessen haben, und daß dies, trotz gewisser Freiheiten gegenüber Strafgefangenen, kein Vergnügen ist, kommt schon dadurch zum Ausdruck, daß die meisten Gerichte die Untersuchungshaft später auf das Urteil anrechnen.
Etwas anderes ist es, ob die Verwaltungen und dabei besonders die Wärter von diesem liberalen Geist angesteckt sind. Für sie ist einer, der erst einmal das große eiserne Tor durchschritten hat und hinter dem die erste Gittertrenntür krachend zuschlug, ein Außenseiter der Gesellschaft. Auch hier lehrt die Erfahrung, daß sie in den meisten Fällen den richtigen Blick dafür haben … aber die paar Ausnahmen, die es dann noch gibt, sind die, an denen sie sich graue Haare holen.
Bob Barreis gehörte zu ihnen.
Es fing schon an, als er sich bei seinem Blockleiter melden mußte, nachdem er Aufnahme, Bad und Asservatenkammer – ein schönes Wort für den Raum, wo man alles abgeben muß, was man in den Taschen so mit sich herumträgt, sogar Hosenträger und Schnürsenkel, Gürtel und Feuerzeug – durchlaufen hatte. Ein Wachtmeister gab ihn im Block I b ab, dazu einen Laufzettel vom Sekretariat. Hauptwachtmeister Schlimcke knallte hinter Bob die Gittertür zu, schloß sie ab und überflog die Einweisung.
»Sie bekommen Nummer 114. Robert Barreis. Barreis? Den Namen kenne ich doch. War'n Sie schon mal hier? Heiratsschwindel, was?«
»Bedauere, unsere Bekanntschaft ist jungfräulich.« Bob grinste. »Vielleicht interessieren Sie sich für Rallyes?«
»Leicht bescheuert, was?« Schlimcke winkte und zeigte auf den Zellengang. »Dort ist 114. Hopphopp, etwas Bewegung! Die Tour kennen wir, die ist uralt, die hat der Barbarossa schon geritten, bevor sein Bart durch 'n Tisch wuchs! Auf doof spielen, was? Psychiater anfordern, lalala machen und in die Betten pissen, mit Scheiße Gemälde an die Zellenwand schmieren und so 'n Dreck weiter. Nicht bei mir, mein Sohn. Laß dir das von den anderen sagen, morgen, beim Spaziergang: Beim alten Schlimcke herrscht Ordnung. Ich war Feldwebel bei der 26. Panzerdivision, klar?«
»Klar. Aber dafür kann ich nichts.«
»Wofür?«
»Daß die 26. Panzerdivision nicht mehr besteht und daß Sie nicht als Held irgendwo gefallen sind. Ich spreche Ihnen mein Mitleid aus, Herr Feldwebel.«
Schlimcke zog das Kinn an den grünen Uniformkragen, musterte den Neuen und las noch einmal das Einweisungspapier. U-Haft, Mordverdacht. So einer also. Frech wie 'ne Filzlaus aufm Sack. Die neue Killergeneration. Aber nicht bei Schlimcke!
»Ruhe!« brüllte er plötzlich. Bob Barreis zuckte von dem plötzlichen Ton zusammen. Aber es war nur der erste Schreck, die Überrumpelung. Langsam ging er auf die Tür mit der verriegelten Klappe und dem runden Spion zu Nummer 114. Hinter ihm klapperten die Stiefel von Hauptwachtmeister Schlimcke.
»Sie sind Mitglied des Gesangsvereins?« fragte Bob ebenso plötzlich, wie Schlimcke gebrüllt hatte. Schlimcke unterlag naturgemäß dieser Überrumpelung.
»Ja.«
»Dachte ich mir's.« Bob blieb an der Zellentür stehen. »Eine gute Stimme, nur die Zwerchfellatmung klappt noch nicht richtig.«
Schlimcke schloß die Tür auf. Seine Augen funkelten böse. »Wir kriegen Sie hier klein«, sagte er gefährlich beherrscht und leise. »Auf Leute wie Sie warten wir hier.«
»Das ist eine Drohung.« Bob setzte sich auf die harte Holzpritsche. Eine dünne Auflage aus mit Kunstleder bezogenem Schaumstoff milderte kaum die Härte. Auch das Schaumgummikissen war flach und kaum geeignet, Träume zu erzeugen. Die Bettwäsche hatte Bob unter dem Arm mitgebracht und warf sie jetzt zur Seite aufs Bett.
»Aufstehen!« brüllte Schlimcke hell. Fanfarenklänge.
»Ich stoße überall auf eine Massierung von Irrtümern«, sagte Bob Barreis in seiner aufreizenden Art. »Erstens gehöre ich nicht in diese Zelle – das ist der größte Irrtum. Zweitens verlange ich, als unbescholtene Zivilperson behandelt zu werden und nicht als Rekrut der 26. Panzerdivision … das ist Ihr Irrtum. Drittens bin ich Bob Barreis, mir gehören die Barreis-Werke in Vredenhausen, wir exportieren in siebenundvierzig Länder, unsere Relais und Computer haben Weltruf, und deshalb irrt sich jeder, der glaubt, mit mir wie mit einem Ganoven umgehen zu können. Verständigen Sie den Direktor dieser Bruchbude
Weitere Kostenlose Bücher