Ein Mann wie ein Erdbeben
Bob war nur leicht verletzt … das mitzuteilen, hat Zeit, dachte Haferkamp. Aber Lutz ist auf der Strecke geblieben, und er war der einzige Sohn des alten Adams. Zeit seines Lebens hatte er geschuftet, um dem Jungen eine anständige Ausbildung zu geben. Als Lutz das Abitur bestand, zusammen mit Bob und Hellmut Hansen, gab es keinen stolzeren Vater als Adams.
»Wir haben es geschafft«, sagte er überall. »Mit Mistfahren und Schweinefüttern! Mit Eiersortieren und Rübenschnitzeln. Und jetzt wird der Lutz Arzt! Ich kriege auch das Studium hin, und wenn ich ab sofort nur noch Quark esse!«
Theo Haferkamp klingelte, aber im Haus rührte sich nichts, obgleich drinnen Licht brannte. Er klingelte noch dreimal, und als er keine Antwort bekam, drückte er gegen die Tür. Sie war unverschlossen. Haferkamp betrat einen dunklen Flur, tappte dem Lichtschein zu, der unter einer Tür hervorschimmerte, hörte leise ein Radio spielen – ›Da geh' ich ins Maxim, dort bin ich sehr intim …‹ Operette, Lustige Witwe – und stieß die Tür auf.
Ernst Adams saß unter dem Radio, hatte die Hände gefaltet und starrte aus leeren Augen Haferkamp entgegen. Er erhob sich nicht, er rührte sich nicht … das Gesicht war schlaff und wächsern. Ein Kopf ohne Gedanken. Ein zerstörtes Ich.
Haferkamp blickte auf das Radio und drehte den Hut zwischen den Händen.
»In den Nachrichten, was?« sagte er leise. »Sie haben es gebracht? Ich habe erst vor einer halben Stunde das Telegramm bekommen. Ich bin sofort zu Ihnen –« Er schwieg, schluckte die letzten Worte hinunter. Die Operettenmusik zerhackte ihn förmlich.
»… Lulu, Froufrou, Jou-Jou …«
»Können wir den Mistkasten nicht abstellen?« fragte er heiser.
Der alte Adams schien die Musik nicht zu hören. Er klemmte die Hände zwischen die Beine, als müsse er sich irgendwie festmauern.
»Er ist verbrannt … im Auto verbrannt … lebendig verbrannt …«
»Mein Gott, das wußte ich ja noch gar nicht.« Haferkamp setzte sich auf den nächsten Stuhl. Eine Schwäche in den Beinen warf ihn einfach um. »Haben … haben sie das in den Nachrichten gesagt?«
»Ja. Ihr Neffe hat sich die Hände verbrannt. Nur die Hände –«
Haferkamp lächelte schief. Er war zu keiner anderen Reaktion fähig.
»Ein unverschämtes Glück. Ich weiß noch gar nichts über den Hergang. Nur das Telegramm.« Er schwenkte das Formular durch die Luft und steckte es dann schnell weg. Wie verflucht dumm waren jetzt alle Worte. »Ihr … Ihr Sohn wird überführt. Selbstverständlich übernehme ich alle Kosten. Sie brauchen sich um gar nichts zu kümmern.«
»Er war mein ganzer Stolz.« Der alte Adams starrte an Haferkamp vorbei an die Wand. »Nur für ihn habe ich gelebt, gearbeitet, geschuftet. Er wäre ein guter Arzt geworden. Ich weiß es. Er war immer fleißig. Und er haßte Autos. Er hat es mir einmal, gesagt. ›Vater‹ – hat er gesagt –, ›wenn ich in einem Auto sitze, komme ich mir wie von der Welt getrennt vor.‹ Vielleicht ist das dumm, vielleicht aber war schon die Ahnung in ihm, wie es einmal kommen würde. Er konnte Autos auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, er sezierte sie förmlich, er verstand mehr von diesen Höllendingern als Ihr Neffe Bob, es war eine Haßliebe von ihm … und schuld daran hat Ihr Neffe!«
Theo Haferkamp zog die Augenbrauen zusammen. Der Schmerz des alten Mannes rührte ihn, aber diese Trauer berechtigte noch lange nicht zu einem unqualifizierten Angriff auf die Familie Barreis. »Erlauben Sie mal«, sagte er milde. Schließlich sprach man mit dem Vater eines Toten. »Mein Neffe Bob war doch nicht der Mentor Ihres Sohnes.«
»Er hatte einen starken Einfluß auf ihn. Das erste Rennen, das sie zusammen fuhren, war für Lutz eine Qual. Er verging in Todesangst. Später machte er jedes Rennen mit, um nicht als Feigling zu gelten. Er zwang sich einen anderen Willen auf, und der kam von Ihrem Neffen.«
»Das ist eine sehr merkwürdige Auslegung einer Freundschaft.« Theo Haferkamp drehte den Hut wieder zwischen seinen Händen. Es ist alles wahr, was er sagt, dachte er. Es stimmt bis zum i-Punkt. Bobs höhnische Überlegenheit zwingt alle, die mit ihm zusammen sind, in die Knie. Mit Bob zu leben, setzt voraus, die Konstitution eines Satans zu haben. Das alles weiß ich, mein lieber Adams … aber man sagt es mir nicht einfach ins Gesicht. Ich bin Verwalter der Barreis'schen Vermögen und Familienehre – wer Dreck auf sie werfen will, muß erst mich
Weitere Kostenlose Bücher