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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wartete. Es war ausgeschlossen, daß Tschocky und seine Freunde die Tonbänder ohne Gegenschlag aufnahmen. Sie würden kommen, und darauf war er vorbereitet.
    Aber nichts geschah.
    Heute nicht, morgen nicht, übermorgen. Eine ganze Woche lang. Nichts.
    Bob Barreis versuchte vergeblich, sich das zu erklären. Tschockys Verhalten widersprach aller Logik.
    Am achten Tag mischte sich Bob Barreis unter die Gäste eines Balles im Hotel d'Angleterre. Er sah Tschocky, und Tschocky sah ihn. Einmal tanzten sie sogar mit ihren Partnerinnen aneinander vorbei, und Tschocky sah durch Bob hindurch, als sei dieser aus Glas. Kein Blick, kein Wort, keine Gebärde.
    Bob Barreis stand vor einem Rätsel. Dann schüttelte er alle Fragen für diese Nacht ab wie ein nasser Hund die Wassertropfen und visierte ein Mädchen an, das ihm schon den ganzen Abend aufgefallen war. Sie trug ein goldenes Abendkleid, und über ihre nackten Schultern und die halbnackten, vollen Brüste flutete eine Sturmwoge von langen, leuchtend schwarzen Haaren. In dem zierlichen Gesicht standen die Augen ein klein wenig schräg.
    Bob Barreis schnaufte durch die Nase. Er war dem Traum einer Frau begegnet, dem Endziel aller Männer wünsche: einer Eurasierin.
    Sie hieß schlicht Claudette –
    Es wurde eine romantische, geradezu unwahrscheinliche Liebe, schon an diesem ersten Abend. Bob Barreis begriff es selbst nicht … er kämpfte sogar dagegen an, wollte sich zwingen, in Claudette wie bei den anderen Mädchen nichts anderes zu sehen als einen willigen Unterleib, eine glatte, von winzigen Härchen wie Samt überzogene Haut, ein im Wonneschweiß zuckendes Stück Fleisch, stammelnde Dummheit, die ihn am Morgen anekelte und die er vor die Tür setzte wie einen Hund, der den Teppich vollgeschissen hatte. Er wehrte sich verzweifelt dagegen, das schöne, reine, engelsgleiche Bild, das er von Marion in seinem Herzen herumschleppte und das ihn immer wieder daran erinnerte, gegen diese Gesellschaft anzurennen, durch Claudettes eurasische Tierhaftigkeit wegzaubern zu lassen. Es gelang ihm nicht … Hand in Hand gingen sie schon nach einer Stunde im Park des Hotels d'Angleterre spazieren, küßten sich in einem Palmenhain, sahen in den Mond und redeten das unbegreiflich dumme Zeug aller Verliebten.
    »Wo kommst du her?« fragte Bob. Er hatte ihren Brustansatz geküßt, und sie hatte die schlanken Finger in seine Locken verkrallt und ihn an sich gepreßt.
    »Ich bin in Fabron geboren, einem kleinen Nest in den Bergen hinter Nizza. Wir haben gelebt wie die Wühlmäuse. Mama webte auf einem kleinen Webstuhl Decken und Stoffe und verkaufte sie in einem Pappkarton auf der Promenade des Anglais, heimlich, hinter Palmen, denn das war verboten. Es schadet dem eleganten Gesicht von Nizza, wenn eine arme Frau vor Pappkartons steht und handgewebte Sachen anbietet. Manchmal verkaufte sie keinen einzigen Lappen, aber dafür fünfmal oder neunmal sich selbst. Mama war eine schöne Frau. Dreck konserviert, sagte sie immer. Vielleicht ist es wahr … sie wurde nicht alt, und als sie starb – unter ein Auto ist sie gekommen, ein betrunkener Engländer hat sie überfahren –, sah sie auch noch im Tod wie ein junges Mädchen aus.«
    »Dein Vater war aus Asien?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nie gekannt, und Mama hat nie über ihn gesprochen.«
    »Jedesmal, wenn du in einen Spiegel siehst, merkst du es doch.«
    »Mag sein, daß er ein Asiate war. Vielleicht ein Dschingis-Khan!« Sie lachte, kaskadenhaft, wie sprudelndes Wasser über die Schalen eines römischen Brunnens stürzt. Ein Lachen, das in Bob Barreis eindrang und dort zu Feuer wurde. Er küßte Claudette erneut, blieb an ihren Lippen haften wie ein Insekt an den Fäden eines Spinnennetzes und genoß die Nähe ihres Körpers, der unter seinen Händen pulsierte.
    »Wovon lebst du?« fragte er, als er wieder Atem holte.
    »Das mußt du fragen?« Keinerlei Scham war in ihren Worten, ihren Augen, ihren Gesten. »Ich verkaufe meine Haut.«
    Es klang so natürlich, als habe sie gesagt: Ich verkaufe Obst oder Blumen oder schöne, teure Kleider. Bob Barreis wunderte sich erneut über sich. Huren waren bei ihm bisher wie Fußabtreter gewesen … wenn man es nötig hatte, wetzte man sich an ihnen ab, schabte den Überfluß weg, reinigte sich und ging weiter, den Dreck hinter sich lassend. Claudette aber, dieses Flittchen mit fernöstlichem Zauber, konnte es ihm sagen, und er lauschte ihren Worten mit einer ganz fremden
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