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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dr. Dorlach, der Anwalt der Familie. Die Gefängnistüren von Vredenhausen stehen offen. Hinein mit dem Delinquenten und Gitter zu! Und ein Schildchen dran. Nicht füttern – er beißt! Meyer, drehen Sie ab, und fliegen Sie weiter nach Hamburg.«
    »Das geht nicht. Der Sprit reicht nicht.« Der Pilot ließ die Räder ausfahren, die Landeklappen schwenkten ein. Dann hüpfte die Maschine über die Betonpiste, die Propeller drehten sich langsamer, die Motoren waren auf Erdfahrt gedrosselt. Genau vor Onkel Haferkamp und Dr. Dorlach blieb die Cessna stehen. Bob kletterte als erster aus dem Flugzeug.
    »Es wird höchste Zeit, daß du kommst«, sagte Onkel Theodor ohne Umschweife. Wer eine Barreis-Familie regiert, kann sich beschönigende Worte sparen. Es gibt da wenig Schönes. »In einer Stunde ist das Begräbnis. Es droht zu einem Skandal zu werden. Der alte Adams will am Grab seines Sohnes unbedingt eine Rede halten! Hast du eine Ahnung, was er auf der Pfanne hat? Junge, sag es jetzt, sofort, noch haben wir Zeit, eine ganze Stunde. Dr. Dorlach wird es regeln können.«
    »Er wird von der Fliehkraft sprechen«, sagte Bob verbittert. »Die lernt man auch auf der Volksschule –«
    Er ließ Haferkamp und Dr. Dorlach stehen und ging allein über das Flugfeld. Die Hände in den Taschen, die Schultern hochgezogen, das linke Bein leicht nachziehend. Man bemerkte es jetzt zum erstenmal.
    Onkel Theodor setzte seinen Hut auf und sah Dr. Dorlach hilfesuchend an. »Der Junge ist völlig durcheinander«, sagte er konsterniert. »Sagte ich es nicht: Er hat ein Problem! Doktor, wir müssen ihn schützen. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß dieses verdammte Autorennen über den Rücken der Barreis läuft.« Dr. Dorlach nickte schwer.
    »Und wir haben nur noch eine Stunde Zeit bis zum Begräbnis …«

3
    Die vergangenen zwei Tage hatten Vredenhausen in zwei Lager gespalten. Wie immer in einer Kleinstadt, in der die Mehrheit der Bevölkerung von einem einzigen großen Werk lebt, schlug man sich die Meinungen um die Ohren wie nasse Handtücher.
    Die Lohnabhängigen – ein schönes Wort für eine modifizierte Art der Sklaverei –, also die Arbeiter und Angestellten, die ihre Lohntüten und -streifen jeden Monat mit einem neuen Spruch erhielten, den Theodor Haferkamp auf die Gehaltsabrechnungen drucken ließ, spielten ›tote Fliege‹ und enthielten sich aller Ansichten. Vielleicht trug dazu auch der letzte Monatsspruch auf der Lohntüte bei, der lautete: ›Ein zufriedener Mensch badet in der Sonne, aber meckert nicht über die Hitze.‹ Wer in den Barreis-Werken seine Brötchen verdiente, zog den Kopf in die Schultern und antwortete höchstens: »Na, ja –«, wenn er gefragt wurde: »Nun sei mal ehrlich – was hältst du von diesem Unfall bei dem Autorennen?«
    Gedanken machten sich alle, aber nur wenige sprachen sie aus. »Man sollte dem Lümmel den Führerschein entziehen!« hieß es etwa. Oder: »Merkwürdig, daß die Polizei so schnell die Akten schließt!« Und der zweite Arzt von Vredenhausen war so unvorsichtig, zu äußern: »Hat man die Leiche denn mit aller Gründlichkeit obduziert?«
    Aber diese Aussprüche waren nur vereinzelt, im kleinsten, vertrauten Kreise, unter besten Freunden. Nur der Arzt sagte es laut am Stammtisch … am nächsten Morgen schon rief Rechtsanwalt Dr. Dorlach bei ihm an und fragte maliziös: »Lieber Doktor, für eine Zusammenstellung einer betriebswirtschaftlichen Tabelle benötigen wir einige Angaben. Können Sie uns in den nächsten Tagen sagen, wieviel Krankenscheine der Betriebskrankenkasse unserer Werke Sie haben?«
    Der Arzt verstand den Wink. In Vredenhausen zu praktizieren, ohne die Arbeiter der Barreis-Werke zu seinen Patienten zu zählen, war wie das Leben eines Aussätzigen. So schwelten unter der glatten Oberfläche des gutbürgerlichen Vredenhausen Klatsch und Verdacht wie eine schleichende Krankheit, die niemand erkennt.
    Nur einer wagte es, sich offen gegen alles zu stellen, was in Vredenhausen Ruhe und Ordnung hieß: der alte Adams, der Vater des toten Lutz. Er hatte nichts zu verlieren, er war kein Abhängiger der Barreis-Werke … er war der Stein im Weg, über den Onkel Theo immer wieder stolpern mußte und den niemand ausgraben konnte.
    Das Geldangebot hatte dem alten Adams gezeigt, daß der Apfel, in den er hineinbeißen sollte, irgendwo eine faule Stelle hatte, die er mitessen sollte … für ein Schmerzensgeld von zehntausend Mark für den verdorbenen Magen. Die ganze Nacht

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