Ein Mann wie Mr Darcy
in mein Glas.
»Was ist denn, Emily? Sie sehen besorgt aus.«
Mr. Darcys Ton ist freundlich, aber ich antworte nicht. Stattdessen blicke ich in die burgunderrote Flüssigkeit und frage mich, wo um alles in der Welt ich anfangen soll. Spike, Ernie, Mr. McKenzie …
»Es sieht ganz so aus, als würde ich meinen Job in der Buchhandlung verlieren«, höre ich mich nach einer Weile heraussprudeln. »Mein Boss, Mr. McKenzie, verkauft vielleicht das Geschäft. Es geht ihm nicht gut, das verstehe ich, aber -« Ich seufze verzagt. »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
Es fühlt sich gut an, es endlich einmal laut ausgesprochen zu haben.
»Sie sind in Diensten?«
Ich blicke auf und sehe, dass Mr. Darcy mich mit höchster Verwunderung anschaut. Diese Tatsache scheint ihn sogar noch viel mehr zu verwundern als alles andere, was in den letzten paar Tagen passiert ist.
»Ja. In einer der besten Buchhandlungen New Yorks. McKenzie’s«, erwidere ich voller Stolz. Ich kann nicht anders. Das passiert mir jedes Mal.
»Sie arbeiten in einer Buchhandlung?«, wiederholt er ungläubig.
Ich bin nicht sicher, was ich erwartet habe, aber es war eher etwas in Richtung Mitgefühl und Verständnis.
»Na ja, im Augenblick jedenfalls.«
»Aber Sie erhalten doch gewiss eine Apanage von Ihrer Familie. Einen Treuhandfonds, vielleicht?«
»Ich fürchte, nein«, antworte ich und muss beim Gedanken an meine Eltern grinsen. Ein Treuhandfonds? Ich bekomme ja nicht einmal eine Postkarte zu Weihnachten.
»Und selbst wenn es so wäre, würde ich doch immer noch arbeiten gehen wollen. Ich liebe meine Arbeit.«
Mr. Darcy fährt sich mit den Fingern durchs Haar und mustert mich. Es scheint ihm große Mühe zu bereiten, meine Worte zu verdauen.
»Ich muss gestehen, Emily, ich bin schockiert«, erklärt er nach einer Weile.
Die Missbilligung in seiner Stimme ist unüberhörbar, und ich spüre, wie mein Lächeln erstarrt.
»Eine wohlerzogene Dame wie Sie sollte nicht arbeiten.«
Ich versteife mich. »Aber was ist denn mit Ihren Bediensteten? Sind unter ihnen keine Frauen?«, kontere ich, versuche jedoch, ruhig zu bleiben.
»Nun ja, selbstverständlich. Aber eine Stellung in einem Haushalt anzunehmen, ist für die unteren Klassen doch ebenso akzeptabel wie notwendig.«
Jetzt bin ich diejenige, die ihn verwundert anblickt. »Bedienstete«, war schon schlimm genug, aber hat er eben »die unteren Klassen« gesagt? Ich starre ihn ungläubig an, kann nicht glauben, was ich da höre. Ich wusste, dass er ein feiner Pinkel ist, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass er ein solcher Snob sein könnte.
»Eine Frau gehört ins Haus. Als Ehefrau und als Mutter.«
Ja. Das hat er wirklich gesagt!
»Aber das ist doch absolut sexistisch!«, rufe ich.
Er schaut mich bestürzt an, als hätte er das Wort noch nie gehört.
Wahrscheinlich hat er das auch noch nie, wird mir plötzlich klar.Wahrscheinlich weiß er noch nicht einmal, was es bedeutet. Wenn das so ist, kann ich wohl kaum wütend auf ihn sein, oder? Ich meine, es ist nicht seine Schuld, dass er von all dem keine Ahnung hat. Daraus kann ich ihm beim besten Willen keinen Vorwurf machen.
»Sie wollen doch gewiss nicht behaupten, dass Frauen ihren Lebensunterhalt ebenso verdienen sollten wie Männer?«, fragt er übertrieben betont.
Ich nehme alles zurück. Ich kann.
»Natürlich!«, herrsche ich ihn aufgebracht an. »Warum sollten Frauen nicht genauso arbeiten wie Männer? Meine Karriere ist mir sehr wichtig.«
»Offensichtlich ist das in Amerika so«, erklärt er ernst. »Aber wir hier sehen die Dinge etwas anders. Und, wie ich sagen muss, schicklicher.«
»Schwachsinn!«
Schlagartig wird er kreidebleich und ringt sichtlich um Fassung. Mit einem Mal sehe ich Spike wieder vor mir, wie er die Beherrschung verloren hat. Unwillkürlich wünscht sich ein Teil von mir, Mr. Darcy würde dasselbe tun. Aber natürlich würde er es niemals dazu kommen lassen. Er ist stets so verdammt beherrscht. Früher fand ich so etwas sexy, aber jetzt empfinde ich es nur noch als frustrierend.
Ärger flackert in seinen Augen auf, und als ich in ihre dunkle Tiefe blicke, muss ich mit einem Mal an all die Monate und Jahre denken, in denen ich davon geträumt habe, Mr. Darcy zu begegnen.Wie ich mir gewünscht habe, dass jeder Mann so sein möge wie er.
Und jetzt sitzen wir hier. Zusammen. Und streiten.
»Ich wollte nicht so bissig sein«, fange ich an. Erst Spike und jetzt Mr. Darcy. Was ist eigentlich los mit mir?
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