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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Eckdestille grölte und schrie es. Ein Schutzmann in Pickelhaube mit herabhängendem grauen Schnauzbart trat nahe an die Karre heran, musterte stumm die kleine Fuhre – unwillkürlich sagte Karl Siebrecht »guten Abend«, und der Schutzmann drehte sich wortlos um und ging weiter. Niemand wußte von Karl Siebrecht, keiner nahm Notiz von ihm, jeder hatte seinen Arbeitsplatz, sein Heim, etwas Verwandtes, selbst die kleine Rieke. Er nur schob alleine dahin, ohne Rieke wäre auch für ihn die Palme dagewesen, die Heimat der Heimatlosen. Ein beklemmendes Gefühl schnürte ihm die Kehle zusammen, noch nie, selbst damals nicht, als er am Bett des Vaters begriffen hatte, daß der Vatertot war, daß er nicht mehr atmete – noch nie hatte er sich so einsam und verlassen gefühlt. Dieses verfluchte sentimentale Lied kam ihm nun auch noch ins Gedächtnis: »Verlassen bin i«, mußte er summen, »wie der Stein auf der Straßen …« Er fühlte die Steine, Hunderte, Tausende unter seinen Füßen, sie wuchsen ihm zur Seite zu himmelausschließenden Mauern empor, Steine, nur Steine, nichts Lebendiges mehr … Und er allein darunter, etwas Lebendiges, etwas Atmendes, mit Blut in den Adern, mit einem Herzen, etwas Gefühl – und doch nur ein Stein unter Steinen, verlassen, wertlos. Niemand wußte von ihm, wie niemand von den Steinen wußte, über die sein Fuß eben gegangen war!
    »Da links um de Ecke!« kommandierte Rieke Busch. »Rin in de Hussiten! Wie is dir denn, Karl? Du klapperst ja! Keene fünf Minuten, denn sind wa zu Hause, da koch ick dir wat Warmet!«
    »Es ist nur, Rieke«, sagte der Junge, »es ist alles so viel, alle diese Häuser, und alles Stein, und keiner weiß von uns …«
    »Mußte eben machen, det se bald von dir wissen! Det is deine Sache! Und det mit de villen Häuser, det muß dir nich imponieren, ob det fünfstöckige wie hier oder kleene Häuserkens wie bei euch sind, mit Wassa kochen se hier wie da, und wenn de dir nich unterkriejen läßt, denn stehste, hier wie da! – So, und det is nu de Wiesenstraße. Wie Blume riecht det hier nich, aber komisch, wenn ick hier komme, is mir det imma wie zu Hause. Der Jeruch is mir direkt sympathisch. – Halt, Karl! Bleib da bei de Karre, ick mach ruff bei Vata’n, wenigstens de Körbe kann der Mann anfassen. Und laß dir nicht listen und locken, die klauen hier alle wie die Raben, namentlich was de Penner sind! – Jib mir die Tilda, ick wer’ ihr schon schleppen – det Kind muß in de Betten! Is ja ganz naß vom Regen! Komm, meine Tilda, jetz jeht’s in de Heia!«
    Damit verschwand die kleine groteske Gestalt in einem dunklen Torweg, und Karl Siebrecht stand allein auf der Straße. Er setzte sich auf die Karre, ihn fror. Er bohrte die Hände in die Taschen und malte sich aus, wie schön es seinwürde, nach diesem langen Tag endlich behaglich im Bett zu liegen. Freilich, wie würde sein Bett aussehen? Und was für ein Mensch würde der Bäcker sein, der so leicht umfiel, wenn Mädchen in Frage kamen? Dieses Kind Rieke Busch schien über alles im Leben Bescheid zu wissen, wie eine Alte. Sie sollte nur machen und schnell kommen – ihn fror jetzt sehr. Eine Gestalt hatte sich aus dem Häuserschatten gelöst und hatte schon eine Weile vor Karl Siebrecht gestanden. Nun sagte der junge, geisterhaft blasse Bursche: »Na, Mensch?«
    »Ja?« fragte Karl Siebrecht, aus seinen Gedanken hochfahrend.
    »Na –?« fragte der andere wieder.
    »Guten Abend!« sagte Karl Siebrecht, der nicht wußte, welche Antwort von ihm erwartet wurde.
    »Sore –?« fragte der, trat noch einen Schritt näher und legte eine Hand auf den Korb.
    »Hände weg!« rief Karl Siebrecht scharf. Und als die Hand sofort zurückgezogen wurde, fragte er milder: »Was ist Sore?«
    »Det weeßte nich? Na, Mensch! Jibste mir een Stäbchen, wenn ick dir sare, wat eene Sore ist?«
    »Nein!« erklärte Karl Siebrecht entschieden. »Was ist denn ein Stäbchen?«
    »So grün!« grinste der Bursche jetzt. »So grün und denn im November! Du kommst wohl grade vons Land?«
    »Wirklich! Ich bin noch keine Stunde in Berlin!«
    »Mensch!« sagte der Bengel fast fieberhaft, drängte sich dicht an Karl Siebrecht und flüsterte ihm ins Gesicht: »Sei helle, hau wieda ab. Hier is nischt los, nur Kohldampf und Frieren! Det wird een Winter, sare ick dir!«
    »Keine Arbeit?« fragte Karl.
    »Arbeet? Nich so ville hab ick letzte Woche vadient, wie ick Schwarzet unterm Daumennagel habe! Du rennst dir die Sohlen ab – aber

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