Ein Mann will nach oben
det eene sare ick dir, Karl: mir soll keener nischt von der Liebe erzählen. Die richt’ bloß Unfug an. Wie der Ernst vorhin anfing – na ja, det wissen se alle, ick bin kalt wie ’n Eiszappen!«
»Aber du bist doch auch noch nicht vierzehn, Rieke!« rief Karl Siebrecht.
»Na wat denn? Wat denkste, wat de Mächen hier schon früh rumknutschen? Is det denn bei euch nich so? Biste ehrlich, Karl, haste noch nie een Mächen jeküßt?«
»Doch – aber …«
»Na siehste! Da gibt’s jar keen Aba! Jünger als du wird se wohl jewesen sind! Aba det sare ick dir, hier paß uff! Und wenn de dir doch verknallst, denn komm bei mir! Ick wer’ dir schon raten! Die Mächen hier kenn ick, und die anderen Mädchen seh ick mir eenmal an, dann weeß ick Bescheid. Komm man immer bei Rieke, Karl, die hilft dir!«
Karl Siebrecht mußte lachen: »Du redest, Rieke, als wärest du meine Großmutter. Und außerdem werde ich mich hier bestimmt nicht verlieben.«
»Verrede es nich! Du bist een hübscher Junge, und det werden die Mächens hier ooch sehen. Und die in deinem Kaff is weit weg.«
»Ich verliebe mich bestimmt nicht!«
»Wart’s ab, Karl, wart’s ab!«
Trotzdem die Uhr schon halb elf war, trafen sie den alten Dienstmann doch unruhig vor dem Hause Müllerstraße 87 wartend. »Na, Opa«, sagte Rieke triumphierend, »du hast woll Angst jehabt? Da haste deine Karre. Und siehste, wat ick hier for dir habe: eene Wurscht. Aber keene von Aschinger, denk det bloß nich, die kommt direkt von’t Land, di ha’ ick dir mitjebracht, Opa!«
»Jott, Mächen«, sagte der Alte ganz gerührt. »Det wär ja nu nich nötig jewesen. Jott, riecht die schön! War die im Rooch?«
»Natürlich war die im Rooch, und nich so Kiefernrooch, wie die Schlachter hier machen, nee, richtijen Buchenrooch. Na, nu jute Nacht, Opa!«
»Jute Nacht, Mächen. Dank ooch schön.«
»Nischt zu danken!« rief Rieke schon im Gehen. »Weeßte übahaupt, weswegen du de Wurscht jekriegt hast, Opa?«
»Na, von wejen meine Karre doch.«
»Keene Ahnung!« schrie Rieke. »Weil de wie ’n Hund heeßt, und alle Hunde fressen jerne Wurscht!« Sie pfiff durchdringend, dann lockte sie: »Komm, Kieraß, komm, mein Hundeken! Kieraß, kuschste –?« Noch zwei Straßenecken weit hörten sie den Alten lachen. Karl Siebrecht konnte ihn sich recht gut vorstellen, wie er dastand, ausgemergelt und abgearbeitet, seine Wurst in der Hand, an der Schwelle der Siebzig, dankbar für jedes gute Wort.
Es war nach elf Uhr, als sie wieder über die engen, dunklen, riechenden Höfe, diese bloßen Lichtschächte des Hauses, in der Wiesenstraße gingen. In den Fenstern brannte kaum noch Licht, auch die Gasflammen auf der Treppe waren erloschen. Rieke mußte Karl bei der Hand nehmen und ihn im Dunkeln führen; Streichhölzer, sich hinauf zu leuchten, hatte keines von beiden. Dann zog Rieke ihn in die Küche. »Wo is’n Ernst?« fragte sie sofort den großen schweren Mann, der dort bei der kleinen Lampe am Tisch saß, den Kopf in den riesigen Händen. »Ick habe Ernsten doch jesagt, er soll uff mir warten!«
Der Mann hob den Kopf. Karl war erstaunt, einen verhältnismäßig jungen Mann, vielleicht Ende der Dreißig, vor sich zu sehen. Er hatte sich Riekes Vater uralt vorgestellt und fand nun einen kräftigen, fast blühend aussehenden Mann, mit einem rötlichen, kurzgehaltenen Vollbart, einer auffallend zarten, weiß und roten Haut und einer schönen Stirn. Nur die Augen, diese sehr hellen Augen, von einem verwaschenen Blau, wollten ihm nicht gefallen: der Blick, der auf den beiden Kindern ruhte, schien sie nicht zu sehen, er schien fast nichts zu sehen. »Der Ernst?« fragte er. »Der Ernst? Den ha’ ick jehen heißen, Tochter, den juckte det Fell! Den zog’s weg! Wat soll er hier ooch sitzen? Brooch ick ’nen Wachtposten, Tochter?«
»Nee, Vata, broochste nich!«
»Ick bin nich bei die Schließkörbe jegangen, nee. Ick habe dir ’ne Suppe jekocht. Det Mehl hat mir Ernst noch von de Brommen jeholt, een halbet Pfund, du jibst ihr det wieda, Tochter.«
»Tu ick, Vata. Jleich morgen. Wat denkste, wat ick for feinet Mehl von Tante Bertha im Schließkorb habe, so’n Mehl hat hier nich mal Tamaschke! Vata, det is Karl, Karl Siebrecht, der sucht hier Arbeet in Berlin. Is’n Freund von mir, Vata!«
»Is recht, Tochter. Setze dir, Karl. Wie war’n Tante Bertha?«
»Die war richtig, Vata«, antwortete Rieke, die schon am Herde wirtschaftete. »Die ha’ ick abserviert. Wat denkste,
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