Ein Mann will nach oben
machte es dies Wiedersehen oder der eben überstandene Streit mit Wagenseil, oder der Rittmeister war ein so guter Zuhörer, oder das Fräulein Bruder hatte ihn so aufgekratzt – plötzlich war Karl Siebrecht in einer genauen Schilderung seines Werdegangs. Er erzählte von Kiesow und Küraß, von Wagenseil und Kupinski, von Kalli, Rieke und dem alten Busch – nur von der heutigen Kriegserklärung erzählte er kein Wort.
»Soso«, sagte der Herr von Senden endlich. »Ich erkläre mich besiegt und geschlagen, mein Sohn. Ich glaubte immer, es hülfe dem Menschen, wenn man ihm ein wenig hilft. Aber ich sehe, der Mensch kommt ohne Hilfe viel weiter. Du wenigstens hast allein viel mehr erreicht, als ich dir hätte helfen können. Es ist ja ganz egal, ob du sieben Wagen oder siebzig fahren hast. Zahlen sind nie ein Erfolg. Aber du hast erreicht, daß du auf eigenen Beinen stehst, daß du nur dir selbst vertraust, daß du durch dich allein etwas geworden bist – zu dem allen hätte ich dir nie verhelfen können, Karl!« Er betrachtete Karl Siebrecht, ein wenig ironisch lächelnd, aber die Ironiegalt wohl mehr dem Rittmeister selbst als dem jungen Mann. »Du hast mich geschlagen«, fing er wiederum an, »und ich will meine Lehre daraus ziehen. Ich verspreche dir jetzt, ich werde dir nie wieder meine Hilfe oder Geld anbieten, ohne Scheu davor kannst du mich besuchen. – Ja, ich gehe sogar so weit, daß ich sage: ich werde dir nicht einmal Geld geben, wenn du mich darum bittest, denn du würdest es mir hinterher doch nicht verzeihen!« Er unterbrach sich. »Nanu!« rief er. »Was machst du denn für ein Gesicht, Karl?! Ich glaube gar, ich habe wieder einmal im falschen Moment das Richtige gesagt. Wolltest du mich etwa um Geld angehen? Brauchst du Geschäftskapital? Willst du die Firma vergrößern? – Dann habe ich nichts gesagt. Hier hast du einen Teilhaber, einen so stillen Teilhaber, daß er sich vier Jahre lang nicht einmal erkundigen wird, ob die Firma überhaupt noch besteht. Und nun sage mir die Summe, und in zwei Minuten sollst du einen Scheck in der Tasche haben. Wir aber reden von etwas anderem.«
»Nein, nein, Herr Rittmeister!« rief Karl Siebrecht, und ihm war so leicht, daß sich wieder eines jener feigen Rückzugstore verschlossen hatte. »Sie haben das richtige Wort genau im richtigen Augenblick gesagt. Vielleicht habe ich sogar so etwas gedacht, nicht für heute, aber für später. Doch Sie haben recht, wenn ich mir von Ihnen helfen ließe, würde ich es Ihnen nie verzeihen. Aber vor allem würden Sie es mir nie verzeihen. Sie mögen mich ja doch nur so lange leiden, solange Sie stolz auf mich sein können, und käme ich zu Ihnen um Hilfe, wäre es mit diesem Stolz sofort vorbei.«
»Das war nicht dumm geredet, Karl«, sagte der Rittmeister nach einem kurzen Schweigen. »So wollen wir es denn bei dem lassen, was ich gesagt habe: jeder für sich und Gott für uns alle! – Sofort aber durchbreche ich all meine Schwüre und lade dich ein, mit mir mein Mittagessen zu teilen. Du wirst zugeben, daß ich dein Feingefühl weitgehend geschont habe: außer einem Sessel habe ich dir bisher nichts angeboten. Also iß schon mit mir, es ist dann nicht so langweilig. Meine Frau«, meinte er lächelnd, und Karl Siebrecht sah, der Rittmeisterhatte ihn mal wieder durchschaut, »meine Frau macht nämlich in der Stadt Besorgungen, als müsse sie sich für eine Jahresreise ins Innerste Afrikas ausrüsten. Wir fahren aber nur für vier Wochen auf meine Klitsche in Vorpommern. Also komm, mein Sohn, es ist einer Firma recht gut, wenn sie sich auch einmal ohne ihren Chef behelfen muß!«
41. Schlimme Nachrichten
»Herr Flau hätte Sie gerne gesprochen. Er ist hinten bei Fräulein Rieke«, sagte Fräulein Palude, als ihr Brotherr spät, aber glänzender Stimmung in den Laden in der Eichendorffstraße kam. Er hatte wirklich einmal das Geschäft sich ganz überlassen und den Nachmittag mit dem Rittmeister verbracht. Er war sogar noch mit Sendens in ihrer Equipage zum Stettiner Bahnhof gefahren – und das bewies, wie nahe er dem Rittmeister in diesen Stunden gekommen war.
»Schön!« antwortete Karl Siebrecht und wandte sich zur Innentür. »Ich gehe dann gleich mal rüber. Sonst war wohl nichts Besonderes?«
»Doch!« antwortete die Palude, und ihr Ton bewies, daß sie das schwerste Geschoß noch aufgespart hatte. »Herr Wagenseil war auch hier!«
»Aber das weiß ich doch! Ich habe doch selbst mit ihm gesprochen«, meinte
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