Ein Mann will nach oben
dachte Karl Siebrecht, als sein Blick auf ihn fiel. Der muß nun auch durchgefüttert werden, dachte er und wandte, beschämt über diesen Gedanken, den Blick fort zu dem Geldhaufen, der wieder auf dem Tisch lag. Er war nicht viel größer geworden. Es waren dazugekommen: 11,70 Mark für Riekes fast dreiwöchige Näherei;
10,– Mark Vorschuß auf Karl Siebrechts Wochenlohn;
6,– Mark Vorschuß auf Kalli Flaus künftigen Wochenlohn.
27,70 Mark, das war das ganze Ergebnis ihres Weges zu Felten!
Und wie schwer waren die erkämpft! Ach, Karl Siebrecht hatte noch in anderer Bedeutung recht gehabt: es war wirklich noch zu früh gewesen mit Riekes Näherei! Sie hatte ihr Können überschätzt, alles war doch nicht in zwei Tagen von der Näherin Zappow zu lernen. Felten war genau gewesen, knickerig genau, aber er war nicht gemein gewesen, er hatte ihre Lage nicht ausgebeutet. Er hatte Rieke Fehler auf Fehler an ihren Mänteln gezeigt, die Jungen hatten es schon garnicht mehr sehen mögen, wie Rieke abwechselnd rot und blaß wurde. Sie hatte sich so geschämt: wie hatte sie vor Karl Siebrecht mit ihrem Können geprahlt! Was mußte der Freund von ihr denken! Ach, die kleine, arme, mutige Rieke – das Leben ersparte ihr nichts. Sie traf Schlag um Schlag, 11,70 Mark als Lohn für fast drei Wochen Schuften; 11,70 Mark, das war das Ergebnis von so viel hochfahrenden Träumen!
»Zweiundneunzigsiebzehn müssen wir noch schaffen«, sagte Karl Siebrecht gedankenvoll. »Jedenfalls sind die verdammten Dreizehn aus der Zahl weg!«
Und Kalli Flau: »Wollen wir nicht den Herd anstecken und ein bißchen Kaffee kochen, Rieke? Ich denke immer, wenn wir erst was Warmes im Magen haben, fällt uns auch was ein.«
»Ick hab keen Brot mehr im Haus«, sagte Rieke und sah scheu das Geld auf dem Tisch an.
»Na, auf die paar Groschen kommt’s nun auch nicht an, Rieke!« rief Kalli und griff nach dem Geld.
»Halt!« befahl Siebrecht. »Bis der Hagedorn bezahlt ist, kommt’s auf jeden Groschen an! Koch Kartoffeln, Rieke, oder was du hast, Kaffee – meinethalben auch gar nichts. Aber das Geld bleibt hier.«
»Ick werd Kartoffeln kochen, Karl«, sagte Rieke, und so tat sie, während die Jungen stumm den Geldhaufen bewachten.
Nach einer Weile hatten sie dann gegessen, Kartoffeln mit Salz, aber doch nicht nur Kartoffeln mit Salz, sondern Karl Siebrecht hatte noch eine Mettwurst beigesteuert, die letzte aus einem sehr umfangreichen Paket, das die getreue Minna ihrem Karl zu Weihnachten gesandt hatte. Die getreue Minna, deren Geld nun dahin war, für eine lange, lange Zeit, denn die wirtschaftliche Lage der drei sah nicht nach Ersparnissen aus.
»Ach ja –« seufzte Karl Siebrecht, und die beiden anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Es war nun doch so, daß Karl Siebrecht aus irgendwelchen unbekannten Gründen die Führung in dieser Sache hatte, obwohl Kalli Flau älter und Rieke Busch viel weltklüger war. »Ach ja!« sagte er noch einmal, aber wacher – sie sollten nicht merken, daß er mit seinen Gedankenweit fort von dieser dringenden Geldbeschaffung gewesen war. »Jetzt haben wir gegessen, und warm sind wir auch geworden – ist euch nun was Vernünftiges eingefallen?«
»Mir nichts«, sagte Kalli Flau. »Man könnte eine ganze Menge anfangen, wenn bloß die Zeit nicht so kurz wäre. Es sind gerade noch vier Stunden.«
»Ja, wenn!« sagte Karl Siebrecht. »Und du – Rieke?«
»Nischt, Karl. Und du?«
»Ja, Rieke …« sagte er langsam. Er sah sie nachdenklich an, wie sie da vor ihm an der anderen Tischseite saß, das Gesicht in die Hand gestützt, sehr blaß. Nach Jungenart hatte er selten auf ihr Aussehen geachtet, aber jetzt fiel ihm doch auf, wie dunkle Ringe um ihre Augen lagen, wie dünn der Arm war, auf den sie den Kopf stützte. »Ja, Rieke …« sagte er noch einmal.
»Wat is, Karl? Du weeßt wat! Sag schon!«
»Es wird dir aber weh tun, Rieke.«
»Als wie mir –? Mir tut jar nischt mehr weh – nach dem Theata!«
Und sie sah zu dem alten Busch am Fenster hinüber. »Mach schnell, Karle! Laß mir nich zappeln! Es ist wat mit die Maschine, ick weeß schon! Willste se doch verscheuan?«
»Nicht verkaufen, Rieke, aber wir könnten sie versetzen, auf dem Leihamt.« Einen Augenblick war Stille. Die beiden Jungen blickten auf Rieke. Deren Gesicht zog sich zusammen, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Die Jungen sahen fort.
Dann sagte Rieke: »Wenn se erst mal weg ist, kommt se ooch nich wieda, det weeß ick, ebensojut
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