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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Siebrecht. »Rieke! Du sagst immer, du verstehst mich nicht. Aber dich verstehe ich auch nicht. Nun soll ich wieder nicht zu ihm gehen? Aber wenn ich nicht zu ihm gehe, das verzeihst du mir doch auch nicht? Das vergißt du doch auch in deinem ganzen Leben nicht?«
    »Doch, Karle, bestimmt! Jeh nich bei den!«
    »Ich gehe ja auch nicht zu ihm. Ich gehe zu ganz jemand anders.«
    »Det sagste jetzt bloß so, um mir zu beruhigen, Karle.«
    »Nein, Rieke, ich gehe wirklich zu jemand anders. Komisch, ich habe nie an den gedacht, und ich habe auch nicht von ihm geträumt, aber als ich aufwachte, da wußte ich: zu dem mußt du gehen, der gibt dir das Geld! – Und nun muß ich laufen, Rieke, sonst verpasse ich ihn.« Und damit war Karl Siebrecht aus der Stube und lief in einem Trab bis vor das Haus in der Krausenstraße, in dem die Firma Kalubrigkeit ihre Büros hatte. Er kam auch wirklich noch ein paar Minuten vor sechs dort an und sah sie alle, eilig oder langsam, aus dem Flur gehen, seine ehemaligen Kollegen, von dem pickligen Wums an bis zum schmissigen Herrn Feistlein, der eine schöne Zigarre rauchte.
    Zuletzt aber kam der Oberingenieur Hartleben, und den sprach Karl Siebrecht an, und es wurde ihm nicht einmal schwer, diesen Mann um Geld zu bitten. Der Oberingenieur freilich war sehr überrascht, und so ohne weiteres sagte er nicht etwa ja, sondern Karl Siebrecht mußte alles Warum und Wieso haarklein berichten, und dann gab es erst eine Menge Tadel, Ermahnungen, Warnungen. So erfuhr Karl Siebrecht gleich, daß, wer Geld borgt, einen ganzen Sack ungebetenen Rat dazubekommt, den er doch mit dem Gelde nicht zurückzahlen darf. »Nun, ich sehe schon, Karl«, sagte der Oberingenieur schließlich, »ich muß dir diesmal das Geld geben. Aber es ist das einzige Mal, daß ich dir Geld leihe, das merke dir. Ich bin auch nicht so gestellt, daß ich das Geld entbehren kann. Du wirst es mir wiedergeben müssen, Karl, und je eher du das tust, um so lieber ist es mir. – Nein, einen Schuldschein will ich nicht, ich borge dir das Geld auf deine Anständigkeit hin.«
    Das war schon in der Wohnung des Oberingenieurs, daß diese Rede gehalten wurde. Herr Hartleben trug natürlich eine solche Summe nicht mit sich in der Tasche herum. Sein Lebtag würde Karl Siebrecht nicht das kleine, schlecht erhellte Eßzimmer vergessen, in dem sie beide verhandelten. Der Tisch war schon gedeckt zum frühen Abend-oder späten Mittagessen, und alle Augenblicke steckte ein Kind oder auch die Frau den Kopf durch die Tür, um zu sehen, ob der Vater noch immer nicht mit dem unerwünschten Besucher fertig war. Nun schloß der Oberingenieur ein Seitenfach des häßlichen, grün verglasten, gelben Büfettchens im Jugendstil auf, und da stand auf ein paar Weingläsern eine Zigarrenkiste. Die nahm er heraus. In der Zigarrenkiste lagen ein paar Scheine und Münzen. Der Oberingenieur zählte – er seufzte beim Zählen – und sagte: »Hier sind also fünfundneunzig Mark, Karl!«
    »Ich brauche aber nur zweiundneunzig Mark siebzehn!«
    »Nun, nimm schon die fünfundneunzig!«
    »Ich möchte aber nicht mehr, als ich brauche!«
    »Ich sage dir, nimm! Zwei Mark dreiundachtzig sind schon wenig genug, wenn das alles Geld ist, von dem ihr in dennächsten Tagen leben wollt.« Und hastig setzte Herr Hartleben hinzu: »Aber mehr kann ich dir nicht geben, Karl!«
    Er brachte den Besucher selbst über den engen Gang zur Wohnungstür, und aus der Küche sahen Frau und Kinder schweigend auf Karl. Ihm kam es vor, als sähen alle ihn böse an, und er hatte ein so schlechtes Gewissen, als habe er ihnen ihr Geld und damit ihr Brot fortgenommen. Noch auf der Straße grübelte er, wieso es ihm leichter geworden war, den Oberingenieur Hartleben, dem das Geld knapp war, um Hilfe anzugehen als den Herrn von Senden, der ihm wahrscheinlich einen Hundertmarkschein ohne alles Fragen in die Hand gedrückt hätte. Aber freilich, da lag es wohl: er wollte nichts in die Hand gedrückt haben, ihm sollte nichts geschenkt werden. Jetzt war es schwer entbehrtes Geld, das zurückgegeben werden mußte, mochte es noch so schwer angehen!
    Die beiden warteten schon sehr auf ihn, denn die Uhr war schon fast sieben. Er erzählte nur mit ein paar Worten, wie er es nun doch geschafft hatte, gab Rieke die restlichen 2,83 Mark zum Brotkaufen und lief mit Kalli Flau zu Hagedorn. Von dort mußten die beiden sofort zu Felten, der würde schon böse sein, weil sie so spät kamen. Aber da sie zu zweien waren,

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