Ein Mensch namens Jesus
Jesus.
»Apollonios hat heute morgen in aller Frühe Antiochia verlassen.« Er sah Jesus stirnrunzelnd an.
Der jedoch brach in schallendes Gelächter aus.
Salathiel stand mit einem Firnistopf in der Hand da und machte ein betretenes Gesicht. »Wer bist du?« wollte er wissen.
»Im Augenblick bin ich dein Sargtischler.«
»Apollonios war der Stolz unserer ganzen Stadt.«
»Dann wird er in Zukunft eben der Stolz von Pergamon oder Tarsus sein. Wo ist der Kocher zum Erhitzen des Lacks?«
Salathiel reichte ihm eine Öllampe und das Feuerbecken. »Kommst du zum Abendessen zu mir nach Hause?« fragte er wie nebenbei.
Jesus sah ihn fragend an.
»Meine Schwiegermutter ist krank«, gestand Salathiel kleinlaut.
»In Antiochia hat man flinke Zungen«, bemerkte Jesus lächelnd, während er den Lack mit einem Stab umrührte.
Salathiel gluckste und schnalzte dabei mit der Zunge, dann strich er sich verlegen mit dem trockenen Lackierpinsel über die Handfläche.
»Es gibt auch ein Bad bei uns im Haus. Wir haben nämlich fließendes Wasser in Antiochia.« Daraufhin setzte er sich auf die Bank vor der Ladentür.
Der Firnis wurde aus Schellack und Weingeist hergestellt, denen noch Öl untergerührt wurde. Jesus erhitzte ihn, bis er flüssig genug war, um in die Holzporen einzudringen, goß noch ein wenig Weingeist dazu, der für ein rascheres Trocknen sorgte, und während er dann den Sarg lackierte, dachte er an Apollonios zurück. Ein böser Mensch war er sicher nicht. Aber gewiß war er auch nicht unerläßlich für die Menschheit. Er redete eben, ohne etwas zu sagen, oder gab sich mit zweifelhaften Worten und Ideen zufrieden. Er ist kein guter Handwerker, schloß Jesus seine Überlegungen.
Morgen früh würde der Sarg trocken sein. Er ging hinaus. Die Abenddämmerung tauchte die Stadt in goldenes Licht. In der Luft lag der süße Duft der Glyzinien.
»Bist du fertig?« fragte Salathiel. »Willst du ein wenig Tamarindensaft?« Er reichte Jesus einen Krug und einen Becher. Ein Spielwarentrödler zog am Geschäft vorüber und blickte ostentativ zur Seite. Tonpferdchen auf hölzernen Rädern, an Stöcken befestigte Windrädchen aus bunten Holzspänen, die sich lustig drehten... Jesus rief ihn herbei und kaufte ihm ein Pferd ab. Salathiel runzelte die Stirn. »Abbilder...« murmelte er. Jesus zuckte nur mit den Achseln. »Kein Mensch wird auf die Idee kommen, ein Spielzeug anzubeten«, meinte er, »und Gott wollte den Kindern noch nie das Spielen verwehren.« Er bahnte sich einen Weg durch die Menge von Kaufleuten, Soldaten und Dirnen und gelangte zur Bude der alten Frau. Das Kind erkannte ihn sofort, jubelte, lief ihm entgegen und umschlang seine Hüften. Als Jesus ihm das Pferd gab und erklärte, wie man es an einem Faden ziehen müsse, kniete der Junge sich mit ernster Miene hin, um das Geschenk zu begutachten.
»Nimm ihn mit! Er ist nun dein Sohn«, sagte die Alte. »Du kümmerst dich viel besser um ihn als ich. Dann kann er mit deinen anderen Kindern zusammensein.« Sie weinte.
Jesus aber schüttelte den Kopf und kehrte in die Tischlerwerkstatt zurück.
Salathiels Schwiegermutter schien Epileptikerin zu sein. Er heilte sie, zumindest schlief sie ruhig ein, ohne irgendeine Arznei eingenommen zu haben.
In den folgenden Tagen zimmerte er zehn Särge.
Das Fest der Wintersonnenwende rückte näher. Wie immer um diese Zeit, so erklärte Salathiel, verwandelte sich Antiochia in eine einzige große Taverne. Die Leute begannen nun schon am hellichten Tag, ihre Schamlosigkeit auszuleben. Es war höchste Zeit fortzugehen.
»Ich wußte, daß ich dich nicht hierbehalten würde«, sagte Salathiel und zahlte ihm sogar etwas mehr als den versprochenen Lohn aus. Jesus begab sich noch einmal zu dem Jungen, den er geheilt hatte und der allmählich wieder rote Wangen bekam. Schon lange hatte er nicht mehr mit Bedauern von einem Menschen Abschied genommen. Ein Zug weißer Ochsen, die zur Opferung an den Altar Mithras’ geführt wurden, versperrte die Straße des Jupiter; eine Schar Lämmer trottete in entgegengesetzter Richtung die Straße hinab, dem Schlächter entgegen. Eine mit Girlanden behängte Schar junger Mädchen und Knaben fuhr auf blumengeschmückten Wagen vorüber, unter einem Getöse von Zimbel- und Triangelklängen, in dem die unflätigen Bemerkungen der johlenden Menge nahezu untergingen. Sogar die Bettler waren betrunken. An einer Straßenecke verkaufte ein Händler in aller Öffentlichkeit Fliegenpilze, an einer
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