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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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sich nicht allein gehört, sondern im Dienste all derer steht, die nach Wahrheit streben, habe ich euch gehorcht. Ich habe euch das Brot aus meinem Bettelsack gegeben.«
    Als hätten sie nur auf das Ende seiner Rede gewartet, stürzten sie nun alle auf ihn zu. Frauen, die ihre Kinder hinter sich herzogen und ihn um seinen Segen baten, Junge und Alte, die ihn an Armen und Beinen zu berühren suchten. Und unter ihnen ein Mann mit erdigen Füßen, der ein kleines Mädchen an seine Brust gedrückt hielt. Ganz offensichtlich ein Bauer, der in aller Eile sein Feld verlassen hatte, weil man ihm erzählte, daß ein Wundertäter in der Stadt sei. Er hatte das kranke Kind aus dem Bett gezerrt und in eine Decke gehüllt, in der wahnwitzigen Hoffnung, es werde geheilt. Die Kleine, die fünf oder sechs Jahre alt sein mochte, hatte ein abgezehrtes Gesichtchen mit fiebrig glühenden Wangen. Fast unbeweglich stand der Vater inmitten dieser Menschenmenge, die Jesus mit lautern Flehen und Bitten bedrängte; er starrte Jesus lediglich stumm an. Es war unmöglich, ihn zu übersehen.
    Jesus machte sich von der Menge frei und beugte sich über die Kleine. Äußerlich glühte sie, doch er spürte die Kälte in ihr. Sie war dem Tod geweiht. Noch vor dem nächsten Neumond. Fast hätte er sich brüsk abgewandt, doch er zwang sich, sie in die Arme zu nehmen. Er schloß die Augen und atmete tief, während er sich an die Worte des Ägypters zu erinnern versuchte: »Der Strom des Lebens kommt aus der Brust. Leite ihn über deine Schultern und Arme in die Hände und von dort aus in den Kranken.« Doch das kleine Mädchen war wie ein Faß ohne Boden, daß die Energie in sich verschluckte. Dies hier war keine Kranke, sondern eine Sterbende, und er fürchtete, sie damit umzubringen. Die Leute ringsum hielten den Atem an. Er unternahm einen letzten Versuch. Der Schweiß rann ihm über die Stirn. Er nahm all seine Kräfte zusammen, spürte, wie ein Krampf ihn schüttelte, und beinahe wäre der kleine Körper seinen Armen entglitten. Er war schweißgebadet. Das kleine Mädchen stöhnte auf. Er öffnete die Augen, in der Furcht, es könne ein Laut des Todeskampfes gewesen sein. Doch sie sah ihn an, es war der erste Blick, den sie auf ihn richtete. »Du mußt leben!« flüsterte er.
    Schwankend kämpfte er gegen einen Schwindelanfall an. Um ihn her schien man zu glauben, er vollführe einen magischen Tanz. Die Kleine schloß wieder die Augen. Nein! Sie durfte nicht schlafen! Er schüttelte sie, worauf sie mit einem gequälten Lächeln antwortete. Ganz rot angelaufen war ihr Gesicht jetzt, und ihr Vater beugte sich darüber, als sähe er in einen Abgrund. Sie keuchte. Noch einmal übertrug er auf sie alle Energie, die ihm noch blieb. Sie hustete, dabei schoß ihr ein Blutklümpchen aus dem Mund und Jesus auf den Ärmel. Jemand wollte es abwischen.
    »Nein!« rief er. »Faßt mich nicht an!«
    Immer noch rang die Kleine nach Atem, auch sie schweißgebadet. Man bräuchte Tausende wie mich, ging es ihm durch den Kopf. Aber wozu eigentlich? Um das Unabwendbare hinauszuzögern? Er war nahezu am Ende seiner Kräfte, doch er durfte sie ihrem Vater noch nicht zurückgeben. Es war noch zu früh für sie zum Sterben, und doch, welch lächerlicher Gedanke! Wann war denn schon jemals der richtige Zeitpunkt dafür? Herr, wie schwer doch die Gabe wiegt, die Du mir zu tragen auferlegt hast! dachte er, während er dem Kind wieder und wieder zuflüsterte: »Leben, du mußt leben!« Ja, sie mußte am Leben bleiben, nicht um seines eigenen Ruhmes willen, sondern um die Macht Gottes zu zeigen... Sie atmete heftiger. Vielleicht war es nur noch eine Frage von Augenblicken, bis die finsteren Schleier, die an ihr zehrten, aus diesem Körper wichen...
    Die Menge wurde allmählich ungeduldig. »Das ist der langsamste Magier, den ich je gesehen habe!« spöttelte einer.
    Ein Magier! Das also war es, was sie glaubten! Er schloß die Augen, um die Wärme besser spüren zu können, die langsam in den kleinen Körper zurückkehrte. Ein Raunen ließ ihn die Augen wieder öffnen. Das Kind lächelte ihn schwach an. Erschöpft ließ er es zu Boden gleiten.
    »Sie kann doch nicht stehen!« entsetzte sich der Vater. Tatsächlich war die Kleine zu schwach dazu, und Jesus konnte sie gerade noch rechtzeitig auffangen. »Sie ist geheilt!« rief der Vater, wobei er sie strahlend hoch über aller Köpfe hielt, damit jeder sie sehen konnte. Sie blinzelte, vom stärker werdenden Sonnenlicht geblendet

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