Ein Mensch namens Jesus
Söhne wiederum Väter werden, doch die Söhne lehnen sie ab, die Waffen, Ländereien und Früchte der Ernte — sie lehnen sie ab, aus Furcht vor dem Altem! Du bist ein Sohn, die Liebe steht dir im Gesicht geschrieben, deine Augen haben die Farbe des Honigs und deine Lippen die des Weins. Bis an dein Lebensende wirst du ein Sohn bleiben.«
Das hatte der Ägypter nicht gesagt. Nur von einer Frau, einer alten Frau, konnte dergleichen kommen. Jesus’ Gesichtszüge entspannten sich.
»Bist du ein Einzelkind? Oder war dein Vater sehr alt? Du ähnelst nämlich den jungen Männern, denen ich begegnet bin und bei denen das eine oder das andere der Fall war.« Sie ließ ihren Blick im Zimmer umherwandern. »Mein Leben neigt sich dem Ende zu«, sagte sie. »Der Tempel ist verfallen. Diejenigen, die meinem Glauben anhingen, sind längst an Altersschwäche gestorben. Ich habe das Standbild jener, der ich mein ganzes Leben lang gedient habe, hierher gebracht. Und da erst wurde mir klar, daß ich nur noch das besitze, was ich gegeben habe. Mein einziger Reichtum! Ich kann nur noch geben, vorausgesetzt, es fällt auf fruchtbaren Boden, und du bist fruchtbarer Boden. Laß dir sagen: Du wirst die Menschen bezaubern, und du wirst gehaßt werden. Die Macht befindet sich in den Händen der Väter, und diejenigen, die den Sohn in dir nicht leiden können, werden auch den Rebellen in dir hassen. Denn du bist ein Rebell! Und was für ein Rebell, Jesus! Du wirst den unwürdigen Vätern das Messer in die Brust stoßen! Scharfsinn und Heißblütigkeit sind in dir wie Mehl und Hefe vereint. Auch geheime Türen hast du schon geöffnet. Deine hohlen Wangen verraten es mir, deine tiefliegenden Augen und deine starke Ausstrahlung. Du hast Trancezustände erlebt.«
Welch unglaubliches Wissen diese Frau doch hatte.
»Habe ich etwa nicht recht?« fragte sie.
Er antwortete nicht.
»Hast du von heiligen Pilzen gegessen?«
»Nein, das ist eine andere Art von Reise«, meinte er. »Rauschmittel helfen nur, die Dämonen zu erkennen, die uns beherrschen, und uns gewissermaßen nicht in uns selbst zu verschließen. Die Entrückung im Gebet darfst du nicht mit anderen Trancezuständen vergleichen. Aber sag mir, welchen Zusammenhang siehst du zwischen mir und deiner Göttin?«
»Als ich dich vor der Menge flüchten sah, begriff ich, daß du nicht der Messias bist, und vor allem, daß du selbst nicht daran glaubst. Aber mir wurde auch klar, daß die Faszination, die du ausübst, um sich greifen wird. Es wird gar nicht leicht sein, die Samariter wie auch die übrigen Juden zu überzeugen, daß du nicht der Messias bist. Vor allem die jungen Männer und die Frauen werden dir folgen«, sprach sie, als beschriebe sie eine Vision, »alle frauen- Mütter, Töchter, Liebende! Die Machthaber Israels werden es mit der Angst zu tun bekommen! Scheinheilig und korrupt, wie sie sind, werden sie dich hassen, wie die Manguste die Schlange haßt!«
Sie trank einen tiefen Schluck aus ihrem Becher und klatschte in die Hände.
»Sei mir nicht böse, wenn ich dich mit der Schlange vergleiche. Für uns Diener der Astarte ist sie ein heiliges Tier. Sie verkörpert den Geist der Erde. Und ich glaube, daß in dir der Geist der großen heiligen Schlange wohnt...«
Herbeigerufen durch das Händeklatschen, glitt eine Pythonschlange durch den Raum auf sie zu. Eine Sklavin erhob sich, um ihr eine Schale Milch zu holen. Jesus beobachtete, wie das Tier seinen Kopf in die Milch tauchte, die es auf ihm unerklärliche Weise einsog.
»Sie ist die Ergänzung der Fruchtbarkeit«, erklärte Kadath. »Allein ist sie der Tod, doch gepaart mit dem Geist der Weiblichkeit bedeutet sie das Leben.«
Das Reptil wandte sich ab von dem Napf und schien wieder in seine Behausung zurückkehren zu wollen, als es den Gast bemerkte und auch schon auf ihn zuglitt. Langsam hob es den Kopf und reckte ihn Jesus entgegen, der sich seinerseits zu ihm hinunterbeugte. Mensch und Schlange sahen einander unverwandt an.
»Nimm sie«, forderte ihn Kadath auf.
Jesus hob das Tier hoch, das sich in der Luft heftig zu winden begann, sich gleich darauf jedoch um den Arm des Fremden schlang und den Kopf auf seine Hand legte. Es schloß die Augen. Kadath nickte, während Jesus auf den Kopf der Python hinuntersah, der da auf seinen Fingern ruhte. »Alles, was sich verstehen muß, erkennt sich auch mühelos. Astarte und du«, sagte Kadath und bog den Kopf zurück. »Es ist einfach! So einfach! Du wirst der Herrschaft
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