Ein Mensch namens Jesus
predigt die Wiederherstellung des Mosaischen Gesetzes. Er sagt auch, daß das Reich Gottes nahe sei und daß ein weitaus bedeutenderer Mann als er kommen werde, dem die Sandalen auszuziehen er nicht würdig sei.«
»Und wer ist dieser Mann?«
»Der Messias ist es, und er heißt Jesus.«
Mit einem Blick in die Runde wies Jesus seine Gefährten an, Schweigen zu bewahren.
»Kommt ihr nicht mit?« fragte der Wirt noch einmal.
Seine Frau trat in diesem Moment ein. Sie ließ ihren Blick über die Gäste gleiten. »Bist du nicht Jesus?« fragte sie plötzlich mit argwöhnisch lauerndem Unterton in der Stimme.
Ruhig hielt Jesus ihrem Blick stand und wartete ab.
»Dieser Mann, den alle als den Messias bezeichnen, war gestern mit vier anderen Männer in Sebaste. Der Sohn vom Rabbiner hat gesehen, wie er dort ein kleines Mädchen geheilt hat, das an der Auszehrung litt. Ihr seid gestern abend auf der Straße von Sebaste her hier eingetroffen. Soll ich den Sohn vom Rabbiner holen? Du bist doch Jesus, nicht wahr?«
»Ja, ich bin es.«
»Warum hast du dich vor armen Leuten wie uns versteckt?« klagte der Wirt in vorwurfsvollem Ton.
»Was für einen Unterschied hätte das gemacht, wenn ihr mich nicht erkannt hättet?« antwortete Jesus seufzend. »Und wenn ich der Messias wäre, ja glaubt ihr denn, ihr wäret dann auch nur einen Schritt näher am Herrn?« Es war ihm anzuhören, daß er sich mühsam beherrschte. »Der Glaube der Juden steht auf wackligeren Beinen als der der Heiden«, fuhr er fort. »Die Heiden haben noch keinen der Götter, die sie anbeten, zu Gesicht bekommen. Und doch glauben sie an Jupiter, Herkules und Merkur. Die Juden dagegen beginnen sofort zu zweifeln, wenn ihre Gottheit sich ihnen nicht oft genug offenbart! Ich sage euch, wenn der Messias kommt, dann wird er kommen wie ein Lichtstrahl, wie der Staub oder der Tod! Heimlich wird er kommen, und keiner wird sich seiner Gegenwart bewußt werden, bevor es zu spät ist.« Betroffenes Schweigen herrschte ringsum. Er wandte sich an den Wirt und seine Frau: »Geh dich taufen lassen und denk nicht mehr an den Mann, der unter deinem Dach geschlafen hat. Und du, Frau, hüte dich vor dem Aberglauben und warte nicht auf das Außergewöhnliche.«
Er ging nach draußen, um einen seiner einsamen Spaziergänge zu machen. Nach einer Weile wurde er eingeholt von Natanael, der still neben ihm herging, bis er schließlich fragte: »Ist es denn dann verboten, dich zu lieben, dich, Jesus? Du bist es doch, den die Leute lieben, sie wollen dich berühren, sie nehmen dich an den Händen, streicheln dir die Füße und sind sogar glücklich, wenn sie nur deinen Ärmel kurz zu fassen bekommen.«
Ein Kind rannte an ihnen vorüber. Dabei ruderte es mit den Armen, als sei es ein Vogel.
»Was würde uns noch von den Heiden unterscheiden, wenn wir uns dazu herbeiließen, die Bücher zu verehren, anstatt ihren Inhalt zu lesen? Ich bin nur ein Buch.«
»Aber man liebt dich — dich, verstehst du? — , und man wird dich auch weiterhin lieben.«
»Was meint man eigentlich, wer ich bin?« fragte Jesus, plötzlich aufbrausend. »Die Prostituierte des ganzen Universums?« Kadaths Warnungen fielen ihm plötzlich wieder ein.
Als sie in die Herberge zurückkehrten, fanden sie die anderen wartend. Thomas sah Jesus nachdenklich an. »Du täuschst dich«, sagte er langsam, »sie wollen keinen Propheten, sondern den Messias.«
»Ich bin nicht der Messias«, gab Jesus müde und überdrüssig zurück.
»Vielleicht ist es nicht an dir, darüber zu entscheiden«, erwiderte Thomas.
Alle vier sahen sie ihn an. In ihren Augen las er Herausforderung. Er antwortete nicht.
V.
Ein beunruhigter Rabbi
Perez, Rabbi und Herr der Synagoge der Stadt Nain in Galiläa, wälzte sich unruhig in seinem Bett und konnte keinen Schlaf finden. Seine Seufzer, seine Erregtheit und die knarrenden Bodenbretter hielten seine Frau Tamar wach, bis sie es nicht mehr aushielt.
Sie setzte sich im Dunkeln auf und rief: »Was quält dich bloß?«
»Schlaf nur! Sorgen kann man nicht teilen. Außerdem bist du nicht gebildet und würdest es nicht begreifen.«
»Hast du eine dumme Frau geheiratet, Perez? In zwei Stunden werden die Hähne krähen, und wir werden beide Ringe um die Augen haben. Was ist denn los? Hast du eine Witwe beraubt?«
»Frau, ich verbiete dir, so mit mir zu reden! Glaubst du denn, du hast einen Dieb geheiratet?«
Doch sie blieb hartnäckig.
Er gab nach. »Weißt du, wegen dem
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