Ein Mensch namens Jesus
Lächeln an.
»Vielleicht können die Pharisäer die Worte nicht mehr richtig aussprechen«, meinte er. »Auf jeden Fall, habt keine Angst vor ihnen! Ihre Lügen werden aufgedeckt werden, aber was ich euch im Vertrauen sage, müßt ihr in alle Welt hinausschreien. Was ich euch zuflüstere, müßt ihr von allen Dächern rufen. Habt keine Angst vor denen, die nur den Körper töten, die Seele jedoch nicht verletzen können! Fürchtet vielmehr die, die in der Hölle Seele und gleichzeitig Körper zerstören können!«
»Meister«, sagte Simon Petrus, »wir verstehen dich, wenn du uns auferlegst, nur unsere Sandalen mit auf den Weg zu nehmen, weil uns dies auch von den Rabbinern auferlegt wurde, wenn wir den Tempelbezirk betraten, und wir verstehen auch, daß du uns rätst, schlau wie die Schlange und unschuldig wie die Taube zu sein, weil das auch in der Midrasch gelehrt wird, wo es heißt, daß Israel so sanft wie die Taube gegenüber dem Herrn sein muß und listig wie die Schlange gegenüber den Heiden. Auch die anderen werden uns also verstehen. Aber wenn du zu uns vom Menschensohn und der künftigen Vollkommenheit sprichst, wie sollen uns da die Menschen verstehen, wenn wir selber kaum begreifen, was du sagen willst?«
»Erinnere dich an Daniel, Simon Petrus!« erwiderte Jesus und hob die Brauen. Der Gesichtsausdruck war seinen Jüngern inzwischen vertraut. »Erinnerst du dich an seine Worte? >Ich sah noch die Vision der Nacht, und ich erkannte, was ein Mensch zu sein schien, der mit den Wolken des Himmels herabstieg; er näherte sich dem Erstgeborenen und wurde ihm vorgestellt...<«
»>...Herrschaft und Ruhm und königliche Macht wurden ihm Übertragern«, fuhr Thomas fort, »>so daß alle Völker und alle Staaten aller Sprachen ihm dienten; seine Herrschaft sollte ewig sein, und seine königliche Macht kannte keine Grenzen...<«
»Das ist es«, murmelte Jesus.
Schweigen.
»Bist du der Menschensohn, auf den wir warten müssen?« fragte Thomas.
»Auf diese Frage kennt nur Gott eine Antwort«, erwiderte Jesus. »Was ich am Ende sein werde, weiß nicht einmal ich. Nur mein Vater wird darüber entscheiden. Sind wir nicht winzige Vögel? Und doch kann ohne die Erlaubnis unseres Vaters keiner zu Boden fallen. Was euch angeht, so werden selbst die Haare auf eurem Kopf gezählt werden. Seid also gewiß, nichts wird passieren, was sich auch nur um ein Haar vom Willen Gottes entfernt.«
»Warum denn dann kämpfen?« fragte Thaddäus. »Der Wille Gottes wird doch immer siegen!«
»Wie kann jemand seinen Vater lieben und sich nicht erheben, um ihn gegen die zu verteidigen, die seine Worte entstellen?« gab Jesus zurück. »Aber diejenigen, die mich vor den Menschen erkennen, werde ich vor meinem Vater im Himmel erkennen; und die, die mich vor den Menschen verleugnen, werde ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen«, sagte er mit schneidender Stimme. »Warum kämpfen? fragt Thaddäus, und viele unter euch fragen sich sicher, warum wir nicht in Ruhe fischen oder das Feld bestellen sollten, anstatt unser Leben zu riskieren. Aber denkt nicht, daß ich gekommen bin, um den Frieden auf Erden zu bringen, nein, ich bin gekommen, das Schwert zu bringen! Ich bin gekommen, um den Mann gegen seinen Vater aufstehen zu lassen, die Tochter gegen die Mutter, den Sohn der Frau gegen seine Schwiegermutter. Dank mir wird ein Mensch seine Feinde unter dem eigenen Dach finden!«
»Aber was wird aus unserem Land, wenn unsere Familien so zerrissen werden?« schrie Andreas. »Und verstößt das, was du sagst, nicht gegen das >Deuteronomium« protestierte er zornig. »Hat man uns nicht vor allen anderen das erste Gebot gelehrt? Hat der Herr nicht befohlen: >Du sollst Vater und Mutter ehren, wie der Herr dein Gott es befohlen hat, auf daß du lange lebest auf Erden und du erblühest auf dem Land, das der Herr dir gegeben hat?< Und du, wer bist du denn, daß du den Menschen gegen seinen Vater aufwiegelst?« schrie er, bevor er aufstand und das Haus seines Bruders verließ.
Verblüffung und Wut war in allen Gesichtern zu lesen.
»Es stimmt, wenn wir das, was du sagst, von allen Dächern herabschreien würden, würde man uns steinigen!« schrie Matthäus der Zöllner. »Und was ist der Nutzen? Das wäre das gleiche, als gäbe man den Sadduzäern und Pharisäern Stöcke, um uns die Knochen zu brechen!«
»Und du selber«, fragte Simon Petrus, der sehr blaß war, »würdest du gegen deine hier anwesende Mutter aufstehen?«
Aller Blicke
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