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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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nachdem sie eine Weile gelaufen waren. »Zu einer Scheune außerhalb der Stadt«, sagte Josef.
    »Das kann doch wohl nicht wahr sein!« rief die Hebamme mit gerunzelten Augenbrauen. »Du bist Priester, und deine Frau soll in einer Scheune niederkommen?«
    »In den Herbergen war kein Platz mehr«, erklärte Josef. »Wir haben jetzt keine Zeit, um über solche Dinge zu streiten. Folge mir!« Raschen Schrittes erreichten sie einen Bauernhof, der tatsächlich am Rande der Stadt lag. In der Nähe des Hofes befand sich ein Stall und darinnen ein Esel, eine Kuh und eine sehr junge Frau. Fast noch ein Mädchen, dachte die Hebamme, das kaum mehr als sechzehn Jahre alt sein kann, weil das das Mindestalter für eine Heirat ist. Die Frau lag, auf dem Heu ausgestreckt, nahe der Tür.
    »Ich habe Durst«, klagte sie mit schwacher Stimme.
    »Geh ihr etwas zu trinken holen, und bring mir einen Krug heißes Wasser!« ordnete die Hebamme an.
    Noch bevor er zur Hebamme aufgebrochen war, hatte Josef darum gebeten, daß man ihnen heißes Wasser vorbereite. Es kochte schon bei seiner Rückkehr. Als er mit zwei Tonkrügen im Arm wieder zum Stall kam, blieb er vor der Tür stehen und biß die Zähne zusammen. Drinnen hörte man die Ausrufe der Hebamme, die abwechselnd Gott anrief und allerlei laute Flüche ausstieß. Er horchte. Nein, schimpfte sie, so etwas habe sie noch nie gesehen; keinem hätte sie geglaubt, wenn er ihr gesagt hätte, daß sie das noch erleben werde... Ein einziges Geschrei und Gezeter war das. Josef stieß die Tür auf und begegnete mit seinem vom Alter getrübten Blick dem der Hebamme. »Unglaublich!« schrie sie. »Dieses Mädchen ist noch Jungfrau!« Doch so aufgeregt sie war, bei seinem Anblick, wie er da stand, erstarrte sie: ein müder, vom Wind zerzauster alter Mann, mit tiefen Falten um die Mundwinkel, in die sich unbeschreibliche Bitterkeit eingegraben hatte.
    »Ich weiß«, sagte er, während er den großen Krug auf dem gestampften Boden absetzte und sich vorbeugte, um seiner Frau ein Trinkgefäß zu reichen. »Ich weiß. Ich habe sie nicht berührt.« Er stand da, gebeugt vom Alter. Die Hebamme setzte gerade zu einer Antwort an, als die junge Frau vor Schmerz aufstöhnte. Da sagte Josef: »Ich habe dich gebeten, bei der Geburt eines Kindes beizustehen. Nun tu das auch!« Alles in ihm kochte vor Wut. Daß ein Mann in seinem Alter und seinem Stande seinen Stolz mit Füßen treten mußte, indem er einer Hebamme zu gestehen hatte, daß er nicht der Vater des Kindes seiner Frau war! Ein krampfhaftes Zittern durchlief ihn, während er, die Augen starr auf den Boden geheftet, die im Luftzug tanzenden Strohhalme beobachtete.
    »Was soll das, Rabbi?« fragte die Hebamme mit gesenkter Stimme. »Willst du mich in eine Hexerei hineinziehen?«
    Hexerei! Ja, es gab Anlaß zu vermuten, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Auch gebildete Leute hatten schon an einen Winkelzug des Bösen gedacht, um zu einer Erklärung für Marias rätselhafte Schwangerschaft zu gelangen. Maria stöhnte. Dann ein erstickter Schrei. Es eilte. Zuerst einmal mußte das Kind zur Welt gebracht werden.
    »Wenn nur die geringste Spur von Hexerei bei der Sache ist, bin ich geliefert«, sagte die Hebamme. »Man wird mir nie mehr erlauben, noch einmal einer schwangeren Frau nahe zu kommen.«
    Er mußte sich jetzt die Wahrheit eingestehen: Er glaubte nicht an Hexerei bei alldem. Vielleicht hatte es doch eine sexuelle Berührung gegeben, und Marias Jungfernhaut hatte standgehalten, nur eben nicht genug, um...
    »Du hast mein Ehrenwort als Priester, gute Frau: Hier ist kein Zauber mit im Spiel.«
    Wieder stöhnte Maria, diesmal so laut, daß der Esel den Kopf hob und die Ohren unruhig hin und her bewegte.
    »Wenn du jetzt nicht sofort hilfst, dieses Kind zur Welt zu bringen, riskierst du, des Kindesmordes angeklagt zu werden«, fuhr Josef sie an. Mit mürrischer Miene erwog sie seine Worte. »Gut, dann aber raus hier!« erwiderte sie.
    Er trat hinaus in die abendliche Dämmerung und in den Wind. Er lehnte sich gegen die Stallwand, vor der seine Gestalt nahezu verschwand: ein braunes Bündel von Erinnerungen und Knochen, das so sehr mit den rohen Backsteinen verschmolz, daß ihn ein vorbeikommender Wanderer auf zehn Schritt Entfernung nicht bemerkt hätte. Maria. Er hatte kaum etwas von ihrer Existenz gewußt, bevor er ihr bei dem Hohenpriester in Jerusalem begegnet war. Noch kein Jahr war das her. Damals war sie kaum älter als zwölf gewesen,

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