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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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glauben. Er fand es schlechthin unvorstellbar, daß der Nazarener Josef im Alter von nahezu neunzig Jahren einer triebhaften Anwandlung wegen seinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt haben sollte.
    »Ist sie wirklich schwanger?« fragte er Josef.
    »Ich habe bei meiner Frau sechsmal eine Schwangerschaft miterlebt. Selbst Augen wie die meinen, die immer schwächer werden, können sich nicht täuschen. Sie ist schwanger und meiner Ansicht nach mindestens im vierten Monat.«
    »Hast du eine Ahnung, wer der Vater ist?«
    Josef erbleichte und antwortete heftig: »Nein.«
    »Kann es einer deiner Söhne gewesen sein?«
    »Nein.«
    Simon seufzte betrübt. Er hatte große Achtung vor Josef, und Josef wußte das, doch Gesetz war Gesetz. Josef wurde in Haft genommen und die Tempelpolizei ausgeschickt, um auch Maria festzunehmen. »Wir werden noch hier und heute ein Urteil über dich sprechen«, hatte der Hohepriester gesagt, »und ich werde nur wenige Mitglieder des Gerichts zusammenkommen lassen.« Die Gerichtsversammlung war in der Tat klein gewesen. In jeder anderen Situation hätte Josef Simons Fürsorge auch zu schätzen gewußt. Sie hatten ihn verhört: Hatte er Intimverkehr mit dem Mädchen gehabt? Nein, nein und nochmals nein!
    Im Wind schüttelte er nun den Kopf und weinte. Herr, warum hast Du mir am Ende meines Lebens diese Prüfung noch auferlegt?
    Das Qualvolle an der Sache war, daß die Gerichtsversammlung von seiner Unschuld überzeugt war. Trotzdem war es ihre Pflicht, ihn zu verhören. Auch Maria wurde mit Fragen überschüttet. Diese hatte die Richter aus der Fassung gebracht, als sie auf die Frage, ob sie mit Josef Verkehr gehabt habe, mit dem Wort »Verkehr« nichts anzufangen wußte.
    »Was bedeutet das?« hatte sie gefragt. Ob dieses Mädchen wohl zurückgeblieben sei, hatte einer der Richter gemeint. Ein anderer mußte die Frage nun mühsam klar und für Maria verständlich formulieren: Ob sie ein Mann an dem Körperteil berührt habe, mit dem sie uriniere. Sie errötete und schüttelte den Kopf. Dann begann sie zu weinen. Von jenem Augenblick an war kein Wort mehr aus ihr herauszubringen, da sie unentwegt schluchzte. Da durchfuhr Josef ein bedrückender Gedanke. Das Mädchen pflegte wie ein Murmeltier zu schlafen. Einmal hatte er sie so stark rütteln müssen, daß er schon befürchtete, sie sei tot. Jeder x-beliebige hätte... O Herr, hab Erbarmen!
    Nur gut, dachte Josef in der nächtlichen Kälte bei sich, daß mein Leben zu Ende geht. So werde ich an all das wenigstens nicht zu oft zurückdenken müssen. Doch da tauchte schon die nächste Erinnerung auf: Er hatte den Gerichtshof gebeten, eine zusätzliche Erklärung abgeben zu dürfen. »Maria sagt, sie sei immer noch jungfräulich.« Simon wandte sich an das Mädchen und fragte es, ob das wahr sei. Sie nickte. »Das ist doch ein komplettes Hirngespinst!« rief ein Richter. »Holen wir eine Hebamme! Die soll uns sagen, ob dieses Mädchen eine Lügnerin ist, eine Idiotin oder ein Naturwunder.«
    Nachdem Simon die Angelegenheit vor Sonnenuntergang geregelt wissen wollte, vor allem aber entschlossen war, Josef die Schande des Gefängnisses, und sei es auch nur für eine Nacht, zu ersparen, befahl er, umgehend nach einer Hebamme zu schicken. Eine halbe Stunde später war die Frau da. Man erklärte ihr, was es festzustellen galt. Ein einziger Blick auf Maria genügte, und sie hätte beinahe das Gleichgewicht verloren und wäre über die Brüstung gefallen, die die geheiligte Hälfte des Hohen Gerichtssaales, wo die Richter saßen, von der für Nichtpriester vorbehaltenen Hälfte trennte. Ein Levit fing sie gerade noch rechtzeitig auf.
    »Rabbis!« rief die Hebamme. »Will man sich über mich lustig machen? Jeder Schwachkopf kann doch sehen, daß dieses Mädchen über den vierten Monat hinaus schwanger ist!«
    »Tu, was man von dir verlangt!« befahl Simon.
    »Komm mit«, sagte die Hebamme zu Maria, »und mach dich auf etwas gefaßt, denn es ist keine Kleinigkeit, worum man sich hier deinetwegen streitet.«
    Als sie wieder in den Gerichtssaal zurückkam, schien die Hebamme Mühe zu haben, ihren Mund wieder zuzubekommen.
    »Nun, und?« fragte Simon.
    Sie hob die Arme zum Himmel, schlug dann die Hände zusammen, hob erneut die Arme zum Himmel und schlug wieder die Hände zusammen.
    »So sprich doch!« drängte Simon.
    »Rabbi! Das Mädchen ist schwanger und zugleich Jungfrau. Die Jungfernhaut ist unverletzt«, sagte sie. Dann wurde sie ohnmächtig. Als sie wieder

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